Kölner Milieukrippe wendet sich gegen Ausgrenzung jeder Art

Bethlehem-Botschaft im Hier und Jetzt

Seit 25 Jahren inszeniert Benjamin Marx die Krippe von Maria in Lyskirchen immer wieder neu. Er sieht sich dabei in franziskanischer Tradition und will das Weihnachtswunder mit aktuellen Bezügen für Menschen heute greifbar machen.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Benjamin Marx, Ideengeber und Erbauer der Milieukrippe, beim Aufbau der Krippenszene in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Benjamin Marx, Ideengeber und Erbauer der Milieukrippe, beim Aufbau der Krippenszene in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )

"Die Krippe ist für alle da”, sagt Benjamin Marx. Schließlich sei Jesus auch für alle geboren: den Heringsverkäufer zum Beispiel, den jüdischen Apotheker oder die Prostituierte.

Sie gehören zum Stammpersonal der so genannten Milieukrippe, die Marx seit nunmehr 25 Jahren in jedem Advent im Südschiff von Maria in Lyskirchen aufbaut, der kleinsten der zwölf großen romanischen Kirchen Kölns in der Nähe des Rheinufers. Und das Milieu, das diese Krippe spiegelt, ist das des Kölner Hafenviertels in den 1920er und 30er Jahren, eines Viertels der kleinen Leute, der Rheinschiffer, Matrosen und Hafenarbeiter. 

Vor der Folie dieses Zeit- und Sittenporträts hat Marx Jahr für Jahr Brücken in die Gegenwart geschlagen, indem er immer neue Figuren dazugeholt hat: den Junkie zum Beispiel und den Flüchtlingsjungen aus Eritrea, das Romamädchen und den Mann aus der Mathiasstraße, der in Ledermantel und Lederhose daherkommt wie jemand aus der benachbarten queeren Szene.

Botschaft von Bethlehem ist noch heute gültig

Die junge Frau, die einst Vorbild fürs Romamädchen war, studiert heute in Berlin Medizin, der junge Mann aus Eritrea entwirft als Schreiner seine eigenen Möbel. "Der Hintergedanke ist, dass Bethlehem nicht einfach ein Ereignis vor 2000 Jahren war, sondern dass die Botschaft von Bethlehem noch heute gültig ist”, erklärt Marx. Frieden auf Erden hat der Engel einst verkündet. Und ist Frieden auf Erden nicht auch der wichtigste Weihnachtswunsch in einem Jahr, in dem Russlands Krieg gegen die Ukraine und der Krieg in Nahost die Welt in Atem halten? 

Ein Mann mit Nietenkleidung (l.) und ein Obdachloser in einer Szene der Milieukrippe in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Mann mit Nietenkleidung (l.) und ein Obdachloser in einer Szene der Milieukrippe in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )

Benjamin Marx hat lange als Immobilien-Manager einer katholischen Wohnungsgesellschaft gearbeitet und als solcher eine ganze Reihe sozialer Projekte realisiert. Für die Milieukrippe seiner Heimatgemeinde Sankt Maria Lyskirchen engagiert er sich jetzt seit einem Vierteljahrhundert ehrenamtlich mit großer Leidenschaft. "Das ist schon eine Jahresaufgabe, sie verlässt einen gedanklich nie”.

Da passt es ganz gut, wenn manche ihn "Vater der Milieukrippe” nennen oder auch deren "Regisseur”. Er selbst sieht sich bescheiden als Krippenbauer, gut gefallen hat ihm die Formulierung aus der Kölner Kirchenzeitung, er "meditiere die Krippe”. Das tut Marx tatsächlich. 

Schließlich lässt er die Krippe in jedem Jahr aufs Neue wachsen und sich von Adventssonntag zu Adventssonntag wandeln - mit immer neuen Bildern, allesamt detailverliebt in Szene arrangiert. Jedes Jahr mit neuen aktuellen Bezügen, jedes Jahr unter einem bestimmten Motto, das jeweils auf der kleinen Litfasssäule der Straßenszenerie in der Krippe steht. 2023 lautet der Schriftzug dort "Die sind so!”

Protest gegen Ausgrenzung

"’Die sind so’ – der Gedanke kommt geflogen. Menschen werden aufgrund ihres Aussehens beurteilt, aufgrund einer Behinderung, ihrer Haar- und Augenfarbe oder Frauen, weil sie ein Kopftuch tragen oder Männer, weil sie eine Kippa tragen. Wir kennen sie gar nicht, aber wir haben sie direkt eingeordnet.” Und so protestiert Marx mit seiner Krippeninszenierung dieses Mal gegen das schnelle Aburteilen von Menschen und gegen Ausgrenzungen aller Art. Als schönes Detail hat die "Sammelstelle für Diskriminierung” in der Krippe wegen Überlastung geschlossen, als neue Figur 2023 ist eine Muslima mit Kopftuch hinzugekommen. 

Auf dem Marktplatz, Szene der Milieukrippe in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln. Auf einer Litfasssäule steht das Motto "Die sind so..." / © Harald Oppitz (KNA)
Auf dem Marktplatz, Szene der Milieukrippe in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln. Auf einer Litfasssäule steht das Motto "Die sind so..." / © Harald Oppitz ( KNA )

Aus traurigem Anlass prangert die Milieukrippe 2023 Antisemitismus als besonders perfide Form der Ausgrenzung an. Unter einem als Lichtzeichen an die Wand projizierten Davidstern steht "Nie wieder ist jetzt!”, mit Gebetschals als Juden gekennzeichnte Figuren bewegen sich auf eine Menora, also einen siebenarmigen Leuchter, zu.

Denn eines, diese Erfahrung hat Marx immer wieder gemacht, vergessen viele: Dass auch Josef, Maria und Jesus Juden waren. Immer wieder muss er das erklären. Immer wieder lässt er auch das Mädchen aus der Näschelsgasse, also dem ehemaligen Rotlichtbezirk bei Maria Lyskirchen, vorübergehend verschwinden. Immer dann nämlich, wenn er den Eindruck hat, dass da jemand aus reiner Sensationslust die Prostituierte in der Krippe begaffen will. 

Niedrigschwelliges Mittel

Grundsätzlich aber liebt Krippenbauer Marx es, wenn Leute vor seinen Figuren ins Diskutieren kommen und übers Diskutieren ins Nachdenken. Er sieht Weihnachtskrippen als wunderbares niedrigschwelliges Mittel, um Menschen zu erreichen, gerade auch solche, die mit Kirche sonst nicht viel am Hut haben. 

Josef, Maria und das Jesuskind im Stall mit Ochse und Esel, Szene der Milieukrippe in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Josef, Maria und das Jesuskind im Stall mit Ochse und Esel, Szene der Milieukrippe in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )

Das könnte und sollte sich die Kirche stärker zu nutze machen, findet der überzeugte Katholik und stellt sich gerne in die Tradition des heiligen Franziskus, der mit seinem Krippenspiel im italienischen Greccio vor 800 Jahren zum ersten Mal das Geschehen rund um Maria, Josef und das Kind ganz plastisch in Szene gesetzt hat. Dass das 25-jährige Jubiläum der Krippe von Lyskirchen damit ins große Jubiläumsjahr der Krippe an sich fällt, passt gut. 

Bei aller allgemeinen Entfremdung von der Institution Kirche beobachtet Benjamin Marx doch auch eine große Sehnsucht nach Spiritualität. "Hier kommen viele rein, die gehen ganz schnell durchs Mittelschiff, damit der liebe Gott sie nicht sieht, um dann bei ihrer Krippe anzukommen.” Und spätestens, wenn an Heiligabend auf Kölsch auf dem Spruchband des Engels zu lesen steht "Üch eß der Heilad jebore” ("Euch ist der Heiland geboren”), gehen ganz sicher ganz viele Herzen auf.

Krippe

Krippen sind Futtertröge. In der Heiligen Schrift werden sie im Zusammenhang mit der Geburt Jesu erwähnt. Beim Evangelisten Lukas heißt es: Maria "gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war." 

Als Krippe wird auch die ganze figürliche Darstellung der Geburtsszene bezeichnet. Erstmals als Abbildung des Geburtsgeschehens Jesu sind Krippen im 16. Jahrhundert in Italien und Spanien nachweisbar, bald darauf auch in Süddeutschland. 

Krippendarstellung der Heiligen Familie / © Annamaria Zappatore (shutterstock)
Krippendarstellung der Heiligen Familie / © Annamaria Zappatore ( shutterstock )
Quelle:
DR