DOMRADIO.DE: Sie haben bis 2016 als Justizoberinspektor am Amtsgericht Berlin-Pankow/Weißensee gearbeitet und waren Beamter auf Lebenszeit. Dann haben Sie auf eigenen Wunsch diesen bombensicheren Job drangegeben. Was ist passiert?
Markus Brandt (Priesteramtskandidat im Erzbistum Köln): Diese Entscheidung hätte vielleicht nicht jeder getroffen. Es fällt einem schon schwer, normale Berufe einfach mal zu wechseln und einen Neuanfang zu wagen. Es war aber auch sehr lange vorbereitet und durchdacht. Das war keine Spontantat. Insofern war es nichts Unüberlegtes oder Dummes, sondern es war wohlüberlegt, aber natürlich mit Risiken behaftet.
DOMRADIO.DE: Was haben denn Ihre Eltern gesagt, zumal Sie ja eigentlich neuapostolisch getauft sind?
Brandt: Der erste "Schock" für meine Eltern kam, als ich 2011 konvertiert bin. Da bin ich zu ihnen gefahren, weil ich meine Taufurkunde brauchte. Da hat meine Mutter gefragt, ob ich heiraten wollte. Da habe ich gesagt: "Nicht so ganz, ich will konvertieren."
Meine Eltern sind sowohl mit meiner Konversion als auch mit meiner Entscheidung ins Priesterseminar zu gehen relativ entspannt umgegangen. Das restliche Umfeld vielleicht nicht ganz so sehr. Meine Mutter fand es nur sehr schade, weil ihr da natürlich bewusst wurde, dass es von mir keine Enkelkinder mehr geben würde. Aber ich habe vier große Geschwister und meine Mama hat schon acht Enkel.
DOMRADIO.DE: Das Priestertum geht auch mit dem Zölibat einher. Fiel es Ihnen leicht, diese Entscheidung zu treffen? Mussten Sie dann irgend jemandem auch "Auf Wiedersehen" sagen?
Brandt: Ich war mal in einer Beziehung. Aber in der Zeit, als ich mich entschieden habe ins Priesterseminar zu gehen, da war ich 36 oder 37 Jahre alt und war ich in keiner Beziehung. Insofern fiel das zu dem Zeitpunkt nicht so schwer.
Aber natürlich war das eine Grundsatzfrage. Ich habe mir immer vorgestellt, zu heiraten und eine Familie zu gründen und zwei oder drei Kinder zu bekommen. Das war eigentlich seit frühester Zeit mein Wunsch. Ich hatte nicht viele Partnerinnen, ich hatte im weitesten Sinne schon so ein bisschen ein Leben, was dem Zölibat entsprach.
Ich musste dann einfach überlegen, ob ich ohne Partnerschaft für den Rest meines Lebens leben kann. Ich musste mich also nicht völlig neu entscheiden oder mich vorher trennen.
DOMRADIO.DE: Sie waren auch lange Zeit bei der Bundeswehr. Dort haben Sie auch über die Militärseelsorge den ersten intensiven Kontakt mit der katholischen Kirche gehabt. Bund und Priester, geht das alles überhaupt zusammen?
Brandt: Aber natürlich, denken Sie einfach nur an den Heiligen Ignatius. Der war auch Offizier und ist einer der großen Heiligen unserer Kirche. Das passt sehr gut zusammen, weil man als Soldat auch den Gehorsam lernt. Und der ist ja in der Kirche durchaus auch gefordert.
DOMRADIO.DE: Als sie angefangen haben, sich intensiver mit dem Gottesbild, auch dem katholischen, zu befassen, haben Sie festgestellt: "Gott ist Liebe. Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat." Das haben Sie auch als Primizspruch gewählt. Das Verhältnis zu ihren Mitmenschen hat sich dadurch auch verändert. Was ist da passiert?
Brandt: Zum einen war das erst mal mein eigenes Bekehrungserlebnis. Es ist schwer, Gott in Worte zu fassen. Letztlich ist es eine Beziehung, die ich irgendwie erkunden und definieren muss. Also wer ist Gott für mich?
Ich habe einfach erfahren, dass Gott an meiner Seite ist, er mich annimmt, so wie ich bin, mit meinen Fehlern und Schwächen, mit meinen Unvollkommenheiten, dass er mich trägt und dass diese Liebe Gottes nicht nur mir gilt, sondern allen meinen Mitmenschen auch. Ich möchte ja in einer Beziehung mit Gott stehen, also muss diese Erfahrung, die ich mit Gott gemacht habe, irgendwas in mir bewirken.
Dadurch hat sich dann irgendwie auch mein Blick auf meine Mitmenschen verändert. Ich bemühe mich seitdem, etwas freundlicher, offener, weitherziger mit meinen Mitmenschen umzugehen. Ob mir das immer gelingt, da müssen Sie dann vielleicht lieber mein soziales Umfeld fragen.
DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie damit um, dass in dieser liebenden Kirche so schreckliche Dinge wie sexualisierte Gewalt gegen Schutzbefohlene und Kinder passieren? Auch jetzt, da Sie sich dieser Kirche verpflichten.
Brandt: Es ist tragisch, es ist verwerflich, was da passiert ist und was heute immer noch passiert. Das Thema Missbrauch beschäftigt mich schon seit weit über 20 Jahren. Bereits in meinem ersten Studium an der Universität der Bundeswehr in München Ende der 90er Jahre kam dieses Thema schon auf.
Ich bin einerseits schockiert gewesen, dass das in unserer Kirche so ein starkes Ausmaß hat und gleichzeitig hat es mich auch nicht überrascht. Vielleicht weil ich da mit den Augen des Juristen etwas realistischer darauf schaue und weiß, dass es leider ein sehr großes gesellschaftliches Problem ist, das auch vor der Kirche nicht Halt macht.
Das Schlimmste ist die Tatsache des Vertuschens. Für mich ist es wichtig, dass wir innerhalb von kirchlichen Gruppen sehr offen darüber reden. Manchmal kommen Gläubige zu mir und fragen: "Darf ich Ihnen mal was sagen?"
Auch wenn ich Diakon bin, bin ich einfach erst mal Mensch und Mitgläubiger: Natürlich sollen die Leute mir sagen, was ihnen auf dem Herzen liegt oder was sie sehen. Das ist ein Stück weit ein Klerikalismus von unten, dass man den Kleriker auch selbst erhebt. Davon müssen wir wegkommen. Auch diese Strukturen müssen wir ändern.
DOMRADIO.DE: Sie waren eigentlich in Berlin, warum wollten Sie dann ins Erzbistum Köln?
Brandt: Ich habe im Ahrtal studiert und immer wieder Ausflüge hier nach Köln und ins südliche Rheinland gemacht und mich einfach in die Gegend und in die Menschen verliebt. Ich bin schon durch die Bundeswehr viel in Deutschland herumgekommen. Aber hier habe ich zum ersten Mal gedacht, dass ich außerhalb meiner Heimat Berlin sesshaft werden möchte.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns mal kurz noch in die Bibel gucken. Da ist von Tausenden von Personen die Rede. Gibt es da einen, den Sie gern träfen?
Brandt: Ich würde mir wünschen, Paulus zu treffen. Er ist für mich eine Person, die Vorbildcharakter hat, und zwar auch eigentlich seit frühester Jugend. Mich hat der Apostel Paulus schon immer interessiert, mit welchem Eifer und unter welchen Anstrengungen er das Evangelium Gottes verkündet hat, wie er auch seine Heimat verlassen hat. Das würde ich gerne auch so hinkriegen.
Das Interview führt Uta Vorbrodt.