Es ist luftig hoch oben in etwa 50 Metern Höhe auf dem Turm des Kölner Rathauses. Christian Michel hat soeben die Schuhe gewechselt und rutscht nun auf die Bank des Spieltisches, von wo aus er die Glocken des Carillons mit Fäusten und Füßen bedient. "Le joyeux Fondeur de Cloches" – "Der fröhliche Glockengießer" von Géo Clement heißt das erste Stück, durch das sich der 42-Jährige mit dem Kölner Instrument vertraut macht.
Bei Wiederaufbau des Kölner Rathauses mit seinem Ratsturm stifteten die Handwerksinnungen der Stadt in Nachfolge der mittelalterlichen Zünfte sowie einige Privatpersonen die insgesamt 48 Glocken, aus denen sich das Carillon zusammensetzt und damit zu den größeren in Deutschland zählt. Die große Glocke stiftete kein geringerer als Konrad Adenauer. Durch sie lässt der damalige Bundeskanzler und ehemalige Oberbürgermeister der Stadt bis heute alle 30 Minuten die Kölner wissen, was die Stunde geschlagen hat.
Ausbildung in Amersfoort in den Niederlanden
2015 hat Christian Michel, der hauptberuflich Bibliothekar in Hannover ist, begonnen Carillon zu spielen. Seit knapp vier Jahren nimmt er in Amersfoort in den Niederlanden Unterricht, wo sich eine der beiden großen Carillonneurschulen in Europa befindet. Ein Carillon ist nämlich mehr als nur ein einfaches Glockenspiel, das mittels elektromagnetisch betriebener Hämmer betrieben wird. Hier gilt das Gesetz der Mechanik. Über eine Klaviatur mit Stöcken und Pedalen werden die mindestens 23 Glocken, die ein Carillon haben muss, bedient. Die Verbindung läuft über Drahtzüge und Bügel, die im Idealfall gut gespannt sind. "Es ist ein Instrument, was einfach durch und durch geht", begründet Michel seine Leidenschaft für das Carillon. "Es ist wirklich Klang pur und wenn man sich an die Spielweise gewöhnt hat, an die Mechanik, dann badet man einfach im Klang." – In Hannover ist er für das Carillon im Henriettenstift zuständig, übt dort und gibt einmal wöchentlich ein Konzert für die Patienten und Besucher des Krankenhauses.
Gewöhnung ist auch beim Kölner Instrument erforderlich, denn dieses befindet sich wohl noch weitgehend im Originalzustand von 1958. Die Drahtzüge hängen mittlerweile gut durch, da das Carillon nur wenig als solches genutzt und live gespielt wird. Denn die viermal täglich erklingenden Stücke spielen automatisch über elektromagnetisch gesteuerte Hämmer. "Es ist ziemlich ausgespielt", merkt Christian Michel an, als er die ersten Takte spielt und die Glocken mit einer gewissen Verzögerung reagieren. Doch mit der Zeit kommt der Carillonneur mit den Eigenarten der "rheinischen Traktur" einigermaßen klar. Das muss er auch, denn der Grund, weshalb Michel an diesem Freitagmittag auf den Rathausturm gestiegen ist, hängt wenige hundert Meter weiter im Dom.
Konzert im Rahmen des Europäischen Glockentags
Die Petersglocke feiert am 5. Mai ihren hundertsten Geburtstag, und das soll ganz groß mit einem Europäischen Glockentag begangen werden. Verschiedene Veranstaltungen wird es an diesem ersten Maiwochenende geben. Eine davon ist ein einstündiges Konzert am 6. Mai (Samstag) von 12:30 Uhr bis 13:30 Uhr auf dem Rathaus-Carillon, dem man überall in der Umgebung des Rathauses und des Alter Markt lauschen kann – auch zum Mittagstisch in der Außengastronomie, wenn das Wetter mitspielt. Die Auswahl der Stücke kreist rund um die Glocken-Thematik, verrät Christian Michel Teile des Konzertprogramms. Ob nun eher folkloristisch mit "La Parade des Dindons" oder "La cloche sonne" von Franz Liszt, es wird ein buntes Programm, in dem auch die "kölschen Tön" in Form von Willi Ostermann-Liedern nicht fehlen dürfen.
Inzwischen hat sich Carillonneur Michel, der gebürtig aus Westfalen stammt und nebenbei auch Orgel spielt, an die Eigenart des Kölner Instruments gewöhnt. "Nach so ein bisschen Einspielen muss ich sagen, es ist wirklich klanglich ein sehr, sehr schönes Instrument", ist sein vorläufiges Fazit und so steigt die Vorfreude auf den 6. Mai, wenn das Kölner Rathauscarillon zum 100. Geburtstag der Petersglocke erklingen wird.