DOMRADIO.DE: Wie ist die aktuelle Situation bei Ihnen?
Vasyl Savka (Geschäftsführer des Verbandes Kolpingwerk in der Ukraine): Hier, wo die Zentrale des ukrainischen Kolpingverbandes ist, ist die Lage noch mehr oder weniger stabil und ruhig, wenn man das in dieser Zeit so sagen kann. Seit Anfang des Krieges wurde hier nur zweimal eine Sirene wegen eines Luftangriffs ausgelöst und wir – die Bürger in Czernowitz – mussten in den Keller gehen.
Aber sonst kann ich sagen: Das Leben läuft in der Stadt, für die Kriegszeit mit Ausgangssperren von 22 Uhr abends bis 6 Uhr morgens, mehr oder weniger stabil. Natürlich sind die Menschen im Stress, sie sind in eine Ungewissheit geraten, weil keiner vorhersehen kann, was weiter passiert. Und natürlich gibt es auch ziemlich viel Stress und Angst bei den Menschen.
DOMRADIO.DE: Sie versorgen viele Flüchtende. Wie geht es den Menschen auf der Flucht?
Savka: Russlands Invasion hat zur Folge, dass mehr als eine halbe Million Flüchtlinge aus der Ukraine und mindestens 160.000 Binnenflüchtlinge vertrieben sind. In Czernowitz zum Beispiel sind schon mehr als 6.000 Binnenvertriebene angekommen. Diese Situation hat eine tiefe Krise für Unterkunft und Verpflegung geschaffen.
Die Gemeinden in allen Städten haben sich sehr stark mobilisiert und mehrere Punkte geöffnet, wo die Kriegsvertriebenen Hilfe bekommen können. Die Bürger sammeln selbst Essen, Kleidung, Bettzeug, alles Mögliche und engagieren sich für diese armen Menschen, die vor dem Krieg fliehen wollen. Die Restaurants in Czernowitz zum Beispiel, aber auch in anderen Städten, verpflegen Flüchtlinge kostenlos.
In unterschiedlichen Städten wurden Punkte eröffnet, wo die Flüchtlinge heißes Essen bekommen können. Die hat hier eine Küche organisiert, wo wir täglich 50 bis 100 Menschen ernähren können. Aber die Flüchtlinge erhalten auch andere notwendige Sachen. Wir bekommen das von der Stadtverwaltung, von der Regierung, aber auch von den Spendern und Hilfsgütern aus dem Ausland.
DOMRADIO.DE: Und wo kommen die Menschen her?
Savka: Die Menschen kommen aus unterschiedlichen Ecken des Landes: aus Kiew, aus dem Osten, aus Cherson, aus Mariupol. Dort, wo eigentlich jetzt der Krieg ist, wo Orte bombardiert werden, wo die Raketen kommen, wo geschossen wird.
DOMRADIO.DE: Was brauchen Sie jetzt dringend, um den Flüchtenden zu helfen?
Savka: Im Grunde genommen wird alles gebraucht. Es werden warme Kleider gebraucht, Bettdecken, Dieselgeneratoren, Verpflegung, Powerbanks, Batterien, Taschenlampen – alles Mögliche, was den Menschen hier das Leben ein bisschen erleichtern kann.
DOMRADIO.DE: Und wie können wir Sie unterstützen? Ist es da am besten, für Kolping International Geld zu spenden?
Savka: Ich muss sagen, die Kolpingverbände in ganz Europa sind so unheimlich engagiert. Sie sammeln Lieferungen, auch der humanitäre Hilfe für die Ukraine. Das wird von Kolping International koordiniert und in engem Austausch mit unserem ukrainischen Verband realisiert. Außerdem haben sich viele Kolpinggeschwister in allen EU-Ländern, wo es Kolping gibt, bereiterklärt, die Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen. Kolping International hat seit dem allerersten Anfang des Krieges eine Spendenaktion für die Hilfe der Ukraine gestartet. Durch diese Hilfe können auch mehrere Leute, die heute so wichtige Unterstützung bekommen.
DOMRADIO.DE: Wie sehen Sie denn in die Zukunft? Werden Sie auch das Land verlassen – verlassen müssen vielleicht sogar? Oder bleiben Sie da?
Savka: Ich bleibe auf jeden Fall in meinem Land. Ich werde mein Land verteidigen, soweit ich das kann. Aber ich schaue mit Hoffnung in die Zukunft. Ich hoffe sehr, dass es der zivilisierten Welt gelingt, Putin und seine Armee zu stoppen. Ich hoffe, dass der Horror in der Ukraine aufhört und dass unser friedliches Land, das diese Aggressionen nicht provoziert und auch nicht verdient hat, weiter an seiner Zukunft bauen kann. Ich bleibe in der Ukraine. Ich verteidige mein Land. Und so sehe ich die Zukunft.
Das Interview führte Katharina Geiger.