Die Nachricht erreichte die Kolumbianer noch mitten in der Nacht. Nach einer dramatischen Woche verlieh das Nobelpreiskomitee einem arg in Bedrängnis geratenen kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos den Friedensnobelpreis. Als einen der wichtigsten Antreiber und Ratgeber seines Ringens um den Frieden nannte Santos der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) 2015 bei einem persönlichen Treffen in der Hauptstadt Bogota Papst Franziskus. "Er hat mir gesagt, ich dürfe niemals aufgeben." Das hat Santos nicht getan - und will es nicht tun, solange es um die Chance auf Frieden geht.
Seit vier Jahren verhandelt der bürgerlich-konservative Präsident mit der linksgerichteten Guerilla-Organisation FARC. Mehr als fünf Jahrzehnte kämpften Rebellen und Armee einen blutigen Bürgerkrieg, in dem nach Angaben des Nobelpreiskomitees mindestens 220.000 Menschen starben. Ende August einigten sich beide Seiten auf einen 297 Seiten umfassenden Friedensvertrag; im September wurde das Abkommen feierlich unterschrieben. Santos wähnte sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere.
Nein zum Friedensvertrag
Doch dann am Sonntag die Volksabstimmung über den Friedensvertrag. Schlechtes Wetter, eine aggressive Kampagne des Nein-Lagers und Zweifel in der Bevölkerung sorgten für eine schlechte Wahlbeteiligung und ein hauchdünnes Nein der Gegner. Mehr als eine Stunde brauchte der sichtlich angeschlagene Präsident, um sich seinen Landsleuten zu zeigen. Die Visagistin im Präsidentenpalast hatte ganze Arbeit geleistet, um das gerötete Gesicht des Präsidenten einigermaßen herzurichten.
Santos riss sich zusammen. Rücktrittsgerüchten stellte sich der 65-Jährige noch in der Nacht entgegen. Das Land brauche Stabilität; er werde diese garantieren. Er habe das Ja-Lager und das Nein-Lager gehört, sagte Santos in die Kamera, während draußen im Land für einen Moment die Menschen innehielten. Auch wer mit Nein gestimmt habe, fühlten mit Santos, der alles in diese Verhandlungen investiert hatte - und nun wie ein Verlierer dastand.
Rückenwind aus dem Vatikan
Innerhalb von nur einer Woche hat der gelernte Journalist und Jurist eine emotionale Achterbahnfahrt erlebt, die es auch im hektischen politischen Alltag nicht allzu oft gibt. "Präsident Santos hat alles für den Frieden riskiert", sagte Papst Franziskus noch vor einigen Tagen im Vatikan. Damals waren die Worte noch als Rückendeckung für die Volksabstimmung gedacht.
Mit dem Preis aus Oslo geht Santos nun wieder deutlich gestärkt in die letzten beiden Jahre seiner Amtszeit. Die Skandinavier wollen damit einen am Rande des Scheiterns stehenden Friedensprozess unterstützen, der durch das Nein der Kolumbianer und ihren Zweifel an einem nicht zu Ende gedachten Vertrag neu ausgehandelt werden muss.
Tom Koenigs, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Friedensprozess, sagte der KNA vor wenigen Tagen in Bogota, ein Scheitern wäre eine Blamage auch für die internationale Staatengemeinschaft, die sich für die Verhandlungen ins Zeug gelegt hat; auch für Norwegen, das hinter den Kulissen als Schutzmacht für den Friedensdialog arbeitete. Und Koenigs fügte hinzu: "Santos hat alles riskiert. Er hat keinen Plan B."
Friedensnobelpreis als Unterstützung
FARC-Chef "Timochenko" ebenfalls zu ehren, wäre wohl allzu kühn gewesen. Der Mann steht auch für Erschießungen abtrünniger Rebellen aus den eigenen Reihen. Der Friedensnobelpreis gibt den Verhandlungen in Kolumbien noch einmal eine neue Wendung. Er macht aus einem Staatspräsidenten in Bedrängnis ein ethisches Vorbild. Der Rest der Welt steht hinter den Bemühungen der kolumbianischen Regierung für den Friedensprozess und damit hinter dem Präsidenten - das ist die Botschaft hinter der Auszeichnung.
Das Lager der Friedensgegner um den rechtskonservativen Hardliner Alvaro Uribe dürfte es nun deutlich schwerer haben, den Kurs fundamentaler Opposition fortzusetzen. Die Anfänge einer Friedensbewegung, getragen von Studenten aller politischen Lager, die in dieser Woche in Kolumbien auf die Straße gingen, werden Santos ebenfalls helfen. Nach Tagen des Zweifelns und der Kritik heißt es nun für ihn, neue Kraft zu schöpfen.