Selbst von der innerkirchlichen Öffentlichkeit fast unbemerkt geht ein schwer zu verstehender Streit seinen Weg durch die kirchlichen Rechtsinstanzen: Die "Arbeitnehmervertretung der württembergischen Kommission zur Ordnung des diözesanen Arbeitsvertragsrechts" (KODA) legt sich mit dem Bistum Rottenburg-Stuttgart samt Bischof Gebhard Fürst wegen der Ordnung zur Vorbeugung vor sexuellem Missbrauch an.
Dabei geht es aber nicht wirklich um das heikle Thema Missbrauch, sondern allein darum, ob die Mitarbeiter ein Mitspracherecht bei der Erarbeitung solcher Ordnungen haben.
Im Urteilstenor der ersten Instanz auf Bistumsebene erhielt die Klägerseite Recht: Die Diözese hätte die Ordnung nicht einfach erlassen dürfen, sondern zuvor in der aus Dienstgebern und Dienstnehmern paritätisch besetzten Kommission aus arbeitsrechtlicher Perspektive beraten müssen. Trotzdem blieb die Ordnung in Kraft, muss aber im Falle von künftigen Änderungen in der Kommission beraten und darf nicht dekretiert werden. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu.
Machtverhältnisse in kirchlichen Strukturen thematisieren
Die 2015 unter erheblichem öffentlichem Druck erlassene Ordnung sieht die Pflicht zur Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses für Mitarbeiter vor. Während das Bistum das in dieser Art bundesweit erste Urteil zur Kenntnis nimmt und künftig entsprechend der gerichtlichen Vorgabe verfahren will, wendet sich die Arbeitnehmerseite trotz ihres Teilerfolgs mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den Kirchlichen Arbeitsgerichtshof in Bonn. Dass die Beschwerde erfolgreich sein könnte, scheinen beide Seite für sehr unwahrscheinlich zu halten. Zumindest in dem Punkt besteht Einigkeit.
Aber worum geht es genau? Wollen die Arbeitnehmervertreter die rechtlichen Standards zur Vorbeugung von Missbrauch aushebeln? Nein, sagt Thomas Münch, Sprecher der Dienstnehmer in der KODA: "Ganz im Gegenteil." Prävention sei außerordentlich wichtig. Vielmehr will Münch nach eigenem Bekunden Machtverhältnisse thematisieren, die in kirchlichen Strukturen existierten und "Richtung Absolutismus und Autokratie" gingen.
Münch, der am Monatsende in den Ruhestand geht, sieht eine grundsätzliche Reformbedürftigkeit des kirchlichen Arbeitsrechts und fordert etwa eine Möglichkeit zu Normenkontrollklagen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des von den Bischöfen angekündigten "Synodalen Wegs" hält Münch offenbar die Zeit für reif, Themen wie innerkirchliche Demokratie anzusprechen und vor Gericht auszufechten.
Dass die Problematik des sexuellen Missbrauchs eher ungeeignet für das Austragen solcher Grundsatzkonflikte ist und vielerlei Missverständnisse provozieren kann, sieht Münch. "Aber leider war kein anderer Rechtsstreit vorhanden", sagt er trocken. Nach seiner Einschätzung trägt die Auseinandersetzung bereits Früchte. Andere Diözesen sähen, dass sie in arbeitsrechtlichen Fragen immer die KODA beteiligen müssten.
Bistum bewertet Kontroverse als "völlig unvernünftig"
Im Bistum wird die Kontroverse als "völlig unvernünftig" bewertet, weil in der Sache weitgehend Einigkeit bestehe. Die Vorlagepflicht des Führungszeugnisses in Frage zu stellen, um rechtstheoretische Fragen zu diskutieren, sei unverständlich - sachlich und politisch.
Diese Position wirkt einleuchtend, zumal das Kirchengericht unter Verweis auf die Rolle der Bischöfe als örtliche Gesetzgeber die Vorschrift selbst unangetastet ließ. Zudem hatte Generalvikar Clemens Stroppel schriftlich zugesagt, Novellierungen erst nach einem KODA-Beschluss in Arbeitsvertragsrecht und Präventionsordnung aufzunehmen. So löst die Nichtzulassungsbeschwerde bei der Bistumsleitung weitere Irritationen aus.
Trotzdem geht der Fall weiter. In Bonn kann es leicht Herbst werden, bis die zweite Instanz zu einem Ergebnis gefunden hat. Ganz auf die Spitze getrieben werden könnte der Fall, würde die Dienstnehmerseite nach dem Ausschöpfen des kirchlichen Rechtswegs den Gang zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wählen - wenn der überhaupt zulässig wäre. Aber kaum ein Thema ist derzeit auf EU-Ebene juristisch so offenkundig ungeklärt wie die Frage des Umgangs mit den unterschiedlichen Staat-Kirche-Beziehungen.
Auf Bistumsebene könnte bereits im Juli ein neuer Beschluss zum Thema Präventionsordnung gefasst werden. Gut möglich, dass es dann um Sachfragen geht: Um Arbeitnehmerrechte und um Vorbeugung gegen Missbrauch.