Neue muslimische Gemeinschaft in NRW

Kontrapunkt zu Islam-Verbänden

Das Wort "liberal" kommt in der Gründungserklärung nicht vor. Doch die vom reformorientierten islamischen Theologen Mouhanad Khorchide ins Leben gerufene "Muslimische Gemeinschaft NRW" ist eine Alternative zu anderen Islamverbänden.

 (DR)

Die "Muslimische Gemeinschaft NRW" will einen Kontrapunkt setzen zu den konservativen und überwiegend vom Ausland dominierten Islam-Verbänden in Deutschland. Seit März ist die neue Gemeinschaft in Form eines Vereins am Start. Ziel ist es, sich dem Staat beziehungsweise der NRW-Landesregierung vor allem mit Blick auf den islamischen Religionsunterricht als Partner anzubieten.

Im fernen Hintergrund steht eine mögliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft, die den klassischen Moscheeverbänden DITIB, Islamrat (IR), Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und Zentralrat der Muslime (ZMD) bisher nicht gelungen ist.

Mehrheit der Muslime unterrepräsentiert

Von diesen setzt sich die "Muslimische Gemeinschaft NRW" deutlich ab, ohne sie beim Namen zu nennen. "Der Islam weist vielfältige theologische, kulturelle sowie strukturelle Ausprägungen auf, die von den bestehenden muslimischen Institutionen in Deutschland nicht in Gänze repräsentiert werden", heißt es in der Gründungserklärung. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland sei unterrepräsentiert. "Deshalb wollen wir mit unserem Verband der Politik einen weiteren Ansprechpartner anbieten, der die unartikulierten Positionen von Muslimen in Deutschland wiedergibt."

Mitgründerin der neuen Gemeinschaft ist die nordrhein-westfälische Integrations-Staatssekretärin Serap Güler (CDU). Deren Engagement passt zu ihren politischen Zielen. Mitte März hatte sie angekündigt, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung ihre Zusammenarbeit mit den Muslimen auf "eine neue Grundlage" stellen wolle. Dazu gehöre es, neben den "bewährten Kooperationspartnern" auch "liberale, weltoffene muslimische Vereine und Verbände" in die Dialogarbeit der Landesregierung einzubeziehen.

Auf ihrer Homepage präsentiert sich die "Muslimische Gemeinschaft NRW" betont weltoffen und erfüllt damit Erwartungen, mit denen häufig die traditionellen Verbände konfrontiert werden. "Wir engagieren uns für das friedliche Zusammenleben in einer immer pluraler werdenden Gesellschaft", heißt es da.

Ein Verein auch für Nicht-Muslime

Favorisiert wird ein Islamverständnis, "das mit unseren Grundwerten und der deutschen Lebenswirklichkeit übereinstimmt". Intoleranz und Hass auf den "Westen" werden eine Absage erteilt. "Antimuslimische, antisemitische, rassistische, deutschenfeindliche und homophobe Stereotypen und andere menschenverachtende Hassideologien lehnen wir ab", wird im Gründungstext betont. Demgegenüber werden Rede- und Meinungsfreiheit sowie das Recht des Individuums auf einen eigenen Glauben und eine eigene Weltanschauung hervorgehoben.

Im Gegensatz zu den anderen Verbänden setzt die "Muslimische Gemeinschaft NRW" auf die Führung von Mitgliederlisten - eine immer wieder geforderte Voraussetzung, um vom Staat als Religionsgemeinschaft behandelt zu werden. Dabei gibt es zwei Varianten: Bekennende Muslime können als "ordentliche" und Nicht-Muslime als "außerordentliche" Mitglieder beitreten.

Diese offene Struktur und die Grundausrichtung der neuen Gemeinschaft entspricht dem theologischen Ansatz, den der Gründer und Vereinsvorsitzender Mouhanad Khorchide (47) vertritt, und der bei den Verbänden auf Ablehnung stößt. Der Münsteraner Wissenschaftler plädiert für eine Interpretation des Korans "für das Hier und Heute" und lehnt eine rein historische Rezeption und unreflektierte Übernahme von Lehrmeinungen ab.

"Islam ist Barmherzigkeit"

2013 kündigten ihm die Verbände die Zusammenarbeit auf, weil er in seinem Buch "Islam ist Barmherzigkeit" angeblich eine einseitige und "dem Zeitgeist entgegenkommende Lesart der Heiligen Schriften" vertrete. Nach wie vor leitet Khorchide aber das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) an der Universität Münster, an dem vor allem Lehrer für den islamischen Religionsunterricht in NRW ausgebildet werden.

Übrigens: Das islamisch-theologische Zentrum in Münster sowie die Zentren an weiteren fünf - und demnächst sechs - Standorten in der Bundesrepublik erfüllen aus Sicht von Khorchide nicht die Erwartung der Politik, dass sich dort eine akademische Ausbildung von in Deutschland tätigen Imamen etabliere. Nur ganz wenige Studenten in Deutschland bereiteten sich darauf vor. Dieser Befund passt zu den Ergebnissen einer von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlichten Studie. Danach predigen in den rund 2.000 Moscheen in Deutschland weiterhin zu fast 90 Prozent Imame aus dem Ausland.

Einen Grund dafür sieht Khorchide im Misstrauen der Verbände gegenüber der universitären Ausbildung und ihrem kritischen Umgang mit Religion unter klaren rationalen Kriterien. Seiner neu gegründeten muslimischen Gemeinschaft dürften solche Vorbehalte fremd sein.

Von Andreas Otto


Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide / © Harald Oppitz (KNA)
Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
Mehr zum Thema