Ein Stall mit Ochs und Esel, dazu ein Krippe mit dem Jesuskind und Maria und Josef daneben – der Klassiker unter den Krippendarstellungen; eine genaue Nachstellung der Weihnachtsgeschichte, wie sie in den beiden Evangelien der Bibel beschrieben wird. Doch es geht auch anders. Die Krippenausstellung im westfälischen Telgte zeigt, auf welch vielfache Weise die Weihnachtsgeschichte interpretiert werden kann. In diesem Jahr steht die Ausstellung unter dem Motto "Stern über Bethlehem".
Die Leiterin des Museums RELíGIO, Dr. Anja Schöne, deutet auf eine ganz moderne Krippe, die die Heilige Familie vor Betonstelen zeigt. "Das sind Betonstelen, die im Original in Bethlehem stehen und zu der israelischen Sicherheitsanlage gehören, mit der eine Grenze zu Bethlehem und den kleinen palästinensischen Dörfern gezogen wird."
Politische Aussagen von Krippen
Hinter der Familie ist eine Lücke in der Betonmauer, durch die der Betrachter Berge, grüne Wiesen und einen rötlichen Horizont erkennt – das Heilige Land. Darüber prangt ein großer, goldener Stern. Die Krippe trägt den Namen "Der Stern zeigt uns den Aus-Weg". "Als Ausweg aus Gewalt beispielsweise könnte man das hier deuten. Sehr schön ist es, dass man auf der einen Seite hier vorne diese politische Aussage hat. Dahinter öffnet sich der Blick in diese idyllische Landschaft. Das ist ein Beispiel für unsere modern gestalteten Krippen mit politischer Aussage", erklärt Schöne
Alle Objekte hier sind zeitgenössisch uns stammen entweder von Künstlern - oder auch von Laien. Jeder, der Lust dazu hat, kann sich an der Ausstellung beteiligen. So gibt es zum Beispiel eine kleine Krippe aus Papier, die eine Großmutter mit ihrem Enkel gestaltet hat. Oder eine Foto-Strecke, die Schüler einer Realschule aus Oelde erstellt haben. "Die Krippe versucht, das Geschehen in die heutige Zeit zu bringen, aber eben auch mit heutigen Kommunikationsmitteln. Die Verkündigung sieht beispielsweise so aus, dass Maria an einer Bushaltestelle sitzt, ihr Handy vor sich hat, da drauf guckt, daneben ist der Verkündigungsengel und auf ihrem Handy erscheint die Nachricht: Ey, du bist schwanger."
Flüchtlinge sollen hier christliche Kultur kennenlernen
Obwohl das Museum Religio gerade erst geöffnet hat, strömen schon die ersten Besucher hinein. Eine Grundschul-Klasse schaut sich um und auch eine Gruppe von Senioren mit Rollstühlen und Rollatoren inspiziert die Räume. Die Ausstellung soll alle Altersgruppen ansprechen, aber auch Gläubige aus anderen Religionen, Flüchtlinge zum Beispiel, sagt Anja Schöne: "Damit auch Geflüchtete sehen können, in welche christliche Gesellschaft sie gekommen sind und welches mittlerweile das wichtigste Fest in dieser Gesellschaft ist, und - vor allen Dingen - weshalb es gefeiert wird."
Krippen spiegeln immer auch ein Stück Zeitgeschichte, erklärt sie weiter. Viele Künstler haben sich mit dem Thema Flucht und Vertreibung auseinandergesetzt. Die große Krippe mit dem Namen "Der Stern von Bethlehem leitet Flüchtlinge auf dem Weg" zeigt verschiedene Szenen.
Krippen spiegeln Zeitgeschichte wider
Da sind die Flüchtlinge auf dem Wasser in einem viel zu kleinen Boot. Oder der lange Flüchtlingsstrom auf dem Weg zu einem Stall. Die einzelnen Figuren sind aus gerolltem Papier hergestellt. Einige Frauen tragen Kopftücher, die Männer haben dicke Taschen und Rucksäcke dabei und ziehen Bollerwagen hinter sich her. "Auf der anderen Seite kommen die Heiligen Drei Könige, wobei man ja spekulieren könnte, welches denn die Drei Heiligen könige sind, die dann auf die Flüchtlinge zugehen: Ob das dann europäische Staaten sind, die die Flüchtlinge unterstützen…"
Oder sind es die Menschen, die die Flüchtlinge in ihren Städten willkommen heißen und ihnen als Geschenke warme Kleidung für den Winter und Spielzeug bringen? Die Krippen lassen Raum zur Interpretation. Sie laden ein, über den Sinn der Weihnachtsgeschichte nachzudenken und zu erkennen, was sie uns heute noch zu sagen hat.
