Die Nahrungsmittelausgabe schließt, doch weiterhin stehen Menschen für eine Mahlzeit an. Frauen waschen sich zwischen Plastikplanen aus Angst, auf dem Weg zu einer Toilettenstation überfallen zu werden. Kinder irren durch den Matsch, ohne Eltern, Spielzeug oder die Aussicht auf einen Besuch im Kindergarten. Solche Szenen sind alltäglich im Flüchtlingscamp Balukhali in Cox's Bazar, jener Hafenstadt im Süden von Bangladesch, in der die meisten Flüchtlinge aus Myanmar ankommen. Die UNO-Flüchtlingshilfe geht inzwischen von insgesamt 900.000 Flüchtlingen seit August aus: die größte Flüchtlingskrise der Welt.
Unterernährte Kinder
Allein im Camp Balukhali leben derzeit 250.000 Menschen. Jennifer Bose, Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Care, war zwei Wochen vor Ort. Sie beschreibt die Lage als katastrophal: "Den Menschen fehlt es an allem." Und es kommen immer mehr. Bis zu 14.000 Flüchtlinge erreichen Bangladesch nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes jeden Tag. Viele waren bis zu zwei Wochen zu Fuß durchs Gebirge unterwegs, berichtet Bose.
60 Prozent der Bewohner der Flüchtlingscamps in Bangladesch sind Schätzungen zufolge Kinder. Rund 145.000 von ihnen gelten laut Care als unterernährt. Besondere Sorge bereiten den Helfern zudem die rund 440.000 Frauen und Mädchen, die sexualisierte Gewalt erlebt oder bezeugt haben. In Myanmar seien zuletzt viele Männer verschwunden oder ermordet worden, erklärt Bose: Daher seien insbesondere Frauen mit Kindern geflüchtet.
Fehlende Aufklärung und weite Wege zu Behandlungs- und Beratungszentren verhinderten in den Camps bislang, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt Hilfe erhalten. Auch verrichten viele Frauen und Mädchen ihre Notdurft erst nachts, so Bose. Aber: "In der Dunkelheit steigt die Gefahr von Angriffen."
Mangelnde Hygiene
Die derzeitigen Unterkünfte böten lediglich Sichtschutz, sagt die Helferin weiter. "In den Zelten ist es extrem schwül, Regenwasser dringt ein. Sich darin zu waschen, ist nicht hygienisch." Dennoch zögen sich die meisten Frauen dorthin zurück - aus Angst vor Gewalt.
Die Helfer befürchten, dass angesichts dieser Umstände und des anhaltenden Regens bald Krankheiten in den Lagern ausbrechen könnten. Eine zentrale Anlaufstelle für Kinder, die ihre Eltern verloren haben, fehlt in Balukhali bislang. Auch haben die Helfer noch keinen Zugang zu allen Bedürftigen.
Geberkonferenz sagt finanzielle Hilfe zu
Am Montag hatten die Europäische Union, westliche Regierungen und andere Geber 290 Millionen Euro für die geflüchteten Rohingya zugesagt. Diese Summe reicht allerdings nicht, betonen Helfer. Die zunächst angestrebten 370 Millionen Euro hätten umgerechnet auf ein halbes Jahr 2,90 Euro am Tag pro Flüchtling entsprochen, so eine Berechnung der Caritas. Auch Unicef beklagt, dass die bisherigen Mittel viel zu gering für die notwendigen Hilfslieferungen seien.
Der Konflikt zwischen der mehrheitlich buddhistischen Bevölkerung und der muslimischen Minderheit in Myanmar war Ende August eskaliert, als Rohingya-Rebellen Soldaten und Polizisten angriffen und Dutzende Sicherheitskräfte töteten. Das Militär reagierte mit Gegengewalt. Im Zuge des Konflikts flohen Hunderttausende muslimische Rohingya nach Bangladesch.
Papst vor Besuch in Myanmar und Bangdadesch
Zuletzt hatte auch Papst Franziskus an ihr Schicksal erinnert, insbesondere an das der Kinder. Sie seien Opfer eines "Götzendienstes" wirtschaftlicher Interessen, sagte der Papst in einer Messe. Ende November reist Franziskus nach Myanmar und Bangladesch. Im offiziellen Programm ist weder der Besuch eines Flüchtlingslagers noch eine Begegnung mit Vertretern der Rohingya vorgesehen.
Einig sind sich die Helfer, dass die Krise nicht in wenigen Monaten beendet sein wird. Bangladesch allerdings gilt selbst als eines der ärmsten Länder der Welt. "Die Krise kann nicht allein hier gelöst werden", mahnt Bose. Langfristig werde mehr Unterstützung benötigt, damit die Helfer ihre Angebote strukturieren könnten und die Hilfe systematischer erfolgen könne. "Etwa die Hälfte derjenigen, die mit denen ich gesprochen habe, möchte zurück nach Myanmar", sagt Bose. "Allerdings erst, wenn es dort wieder sicher ist."