Caritas International über die Rohingya-Camps in Bangladesch

"Die Lage dort ist katastrophal"

Seit Monaten flieht die muslimische Minderheit der Rohingya aus Myanmar nach Bangladesch. Stefan Teplan von Caritas International berichtet im domradio.de-Interview über die Lage im aktuell größten Flüchtlingscamp der Welt.

Rohingya-Flüchtlinge in provisorischen Zelten / © Suvra Kanti Das (dpa)
Rohingya-Flüchtlinge in provisorischen Zelten / © Suvra Kanti Das ( dpa )

domradio.de: Am heutigen Montag tagt in Genf die UNO-Geberkonferenz, um Geld für die Flüchtlinge zu sammeln. Sie sind vor vier Tagen aus Bangladesch zurückgekommen. Wie ist die Lage der Rohingya im Flüchtlingscamp?

Stefan Teplan (Caritas International): Die Lage dort ist katastrophal. Die Bilder verfolgen mich auch heute noch, vier Tage nach meiner Rückkehr: Kilometerlange Schlangen von Menschen, die mit ihren Kräften völlig am Ende sind, ziehen an einem vorbei. Das Leid und Elend, das sie auf ihrer Flucht erlebt haben, steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Und wenn sie in das Flüchtlingslager kommen, geht es so weiter. Es fehlt dort an allem.

Hilfsorganisationen wie die Caritas versuchen ihren Bedarf zu decken. Die Caritas versorgt 70.000 Menschen im Monat mit Nahrung. Aber es fehlt auch an guten Unterkünften. Die Menschen leben unter einfachen Plastikplanen, die sie über Bambuspfähle stülpen. Es muss noch sehr, sehr viel getan werden, damit man das Leid dieser Menschen so schnell wie möglich lindern kann.

domradio.de: Was erzählen die Menschen, mit denen sie gesprochen haben, über ihre Verfolgung? Wie sehr werden die Rohingya in Myanmar bedroht? Menschenrechtler sprechen ja sogar von ethnischen Säuberungen?

Teplan: Ich habe mit Dutzenden Rohingya gesprochen. Alle, mit denen ich gesprochen habe, erzählten, dass sie in Myanmar unglaublichen Gewaltexzessen ausgesetzt waren, die sie zur Flucht getrieben haben. Soldaten der Armee von Myanmar - so haben mir die meisten berichtet - überfielen ihre Dörfer, brannten ihre Häuser nieder, vergewaltigten Frauen und schossen wahllos einige Leute nieder, um die anderen in Panik zu versetzen und sie zur Flucht anzutreiben.

Mehrere haben mit erzählt, dass sie regelrecht zur Flucht aufgefordert wurden. Die Soldaten sagten: "Geht doch nach Bangladesch. Sonst geht es euch hier schlecht."

domradio.de: Jetzt wird Geld gesammelt - die Geberkonferenz ruft dazu auf. Wieviel Geld wird denn benötigt?

Teplan: In der Geberkonferenz wurde in einer Bedarfsanalyse eine Summe von knapp 370 Millionen Euro (rund 430 Millionen Dollar) für sechs Monate festgesetzt. Das erscheint zunächst eine sehr hohen Summe. Aber sie müssen das umrechnen auf die hohe Dimension. Rund 800.000 Menschen sind inzwischen in diesem Lager in Bangladesch, die sie für ein halbes Jahr versorgen müssen.

Und wenn sie das nun umrechnen, sind es pro Flüchtling und Tag gerade einmal 2,90 Euro, wenn ich richtig gerechnet habe. Das ist nicht viel, wenn davon bessere Unterkünfte gebaut sowie Nahrung und Trinkwasser beschafft werden sollen. Von dem Geld muss die leidende Bevölkerung der Rohingya medizinisch und auch psychosozial versorgt werden. Also, diese 370 Millionen Euro sind eigentlich das Mininimum. Ich denke, dass der Bedarf sogar noch höher sein wird und Hilfsorganisationen wie die Caritas dringend auf weitere Spenden angewiesen sind. 

domradio.de: Im Moment sprechen wir wirklich von Nothilfe, weil es an allem fehlt. Wie soll es denn mittelfristig für die Rohingya weitergehen? Werden sie jemals zurückkehren können?

Teplan: Es sieht tatsächlich nicht so aus. Es gibt zwar Bemühungen, auch seitens der Regierung in Bangladesch, politische Lösungen hinsichtlich einer Rückkehr zu ermöglichen. Mir haben sehr viele Rohingya erzählt, sie würden gerne in ihr Land zurückkehren, das sie immer noch als ihre Heimat empfinden – allerdings nur, wenn ihnen Freiheit und Menschenrechte dort zugestanden werden. Momentan sieht es aber nicht danach aus.

Es müssen bessere Unterkünfte gebaut werden, und die Menschen müssen eine bessere Perspektive haben, wenn sie denn tatsächlich längere Zeit in Bangladesch leben müssen oder sollen. Das heißt, sie müssen in die Gesellschaft integriert werden und sie müssen Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt bekommen – das sind langfristige Pläne.

Man muss vielleicht diesen Menschen überhaupt erst einmal bewusst machen, dass sie Rechte haben. Das sind Menschen, die seit Jahrzehnten diskriminiert werden. Es wäre auch Aufgabe von Hilfsorganisationen wie der Caritas, Ihnen "Empowerment" zu vermitteln, also sie zu stärken und ihnen das Bewusstsein für Ihre Rechte zu vermitteln.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Stephan Teplan / © Albert Josef Schmidt (CI)
Stephan Teplan / © Albert Josef Schmidt ( CI )

Warteschlange in einem Rohingya-Flüchtlingscamp / © Dar Yasin (dpa)
Warteschlange in einem Rohingya-Flüchtlingscamp / © Dar Yasin ( dpa )
Quelle:
DR
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