Laut Bericht gibt es täglich 29 Judenhass-Fälle

Anstieg von 320 Prozent

Sie fühlen sich selbst in ihrer Nachbarschaft oft nicht mehr sicher. Jüdinnen und Juden in Deutschland sind auch in ihrem unmittelbaren Umfeld Antisemitismus ausgesetzt. Ein neuer Bericht legt jetzt Zahlen vor.

Autor/in:
Leticia Witte
Symbolbild: Antisemitismus / © Daniel Reinhardt (dpa)
Symbolbild: Antisemitismus / © Daniel Reinhardt ( dpa )

29 antisemitische Vorfälle pro Tag und ein Anstieg von 320 Prozent: Das ist das Ergebnis eines neuen Berichtes zu Judenhass in Deutschland nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Bis zum 9. November registrierte der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) insgesamt 994 Vorfälle mit Bezug zu den Hamas-Massakern, wie aus dem am Dienstag in Berlin veröffentlichten Bericht hervorgeht.

Demnach waren es durchschnittlich 29 Vorfälle pro Tag. Es handele sich um einen Anstieg von 320 Prozent zum Jahresdurchschnitt von 7 Vorfällen am Tag 2022. Den Meldestellen des Verbandes werden auch Ereignisse gemeldet, die keine Straftaten sind. Das Aufkommen an Meldungen sei anhaltend hoch, hieß es. Berichtet werde vermehrt von Vorfällen an Orten des Alltags wie Nachbarschaft, Arbeitsplatz und Hochschulen.

Rias: "Besonders verunsichernd sind Vorfälle im Wohnumfeld"

"Besonders verunsichernd sind Vorfälle im Wohnumfeld", so Rias. Gemeldet worden seien 59 solcher Vorfälle. Der Verband nannte ein Beispiel: "In Gießen drangen zwei Männer gewaltsam in die Wohnung
eines Israelis ein, um eine aus dem Fenster gehängte Israelflagge zu entfernen."

Vermehrt werde an Hochschulen antiisraelische Propaganda verbreitet: Schmierereien, Versammlungen und Flyer. Insgesamt wurden laut Rias 37 antisemitische Vorfälle an Hochschulen dokumentiert. Jüdische Studierende berichteten, dass sie für das Verhalten Israels verantwortlich gemacht würden - und mieden daher die Hochschule.

Pflicht "mit aller Konsequenz gegen Antisemitismus vorzugehen"

"Wenn jüdische Studierende dem Campus aus Sorge vor antisemitischen Erfahrungen fernbleiben, sind ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen, aber auch die Hochschulleitungen und organisierten Studierendenschaften in der Pflicht, mit aller Konsequenz gegen Antisemitismus vorzugehen", forderte der Geschäftsführer des Rias-Bundesverbandes, Benjamin Steinitz.

Die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, Hanna Veiler, nannte die Zahlen erschreckend, aber nicht verwunderlich: "Junge Jüdinnen und Juden berichten seit dem 7. Oktober ununterbrochen, wie stark der Antisemitismus, den sie in ihrem alltäglichen Leben wahrnehmen, vor allem im universitären Kontext,
zugenommen hat."

Die Verbreitung von Desinformation trage zur Mobilisierung bei

Im Auswertungszeitraum wurden laut Bericht 177 antisemitische Versammlungen erfasst. "Die Verbreitung von Desinformation trägt zur Mobilisierung bei: Nachdem eine ungeprüfte Meldung über einen angeblichen Angriff der israelischen Armee auf das Al-Ahli-Krankenhaus am 17. Oktober verbreitet wurde, verdoppelte sich die Zahl antisemitischer Versammlungen zur Vorwoche auf 61", hieß es.

Der Rias-Bundesverband ist der Dachverband seiner Meldestellen in mehreren Bundesländern. Wer Antisemitismus erlebt oder Zeugin beziehungsweise Zeuge wird, kann sich an diese Stellen wenden. Diese erfassen bundesweit judenfeindliche Vorfälle und vermitteln Betroffenen Unterstützung. In den Bericht flossen den Angaben zufolge Vorfälle aus dem ganzen Bundesgebiet und von Meldestellen in elf Bundesländern ein.

Seit dem Terrorangriff rund 3.300 Straftaten erfasst

Das Bundeskriminalamt hatte seit dem Terrorangriff bis Mitte November bundesweit rund 3.300 Straftaten mit Bezug zum Nahost-Konflikt erfasst. Dabei handelt es sich Medienberichten zufolge vor allem um Sachbeschädigung, Volksverhetzung und Widerstandsdelikte. 

Antisemitismus

Antisemitismus nennt man die offen propagierte Abneigung und Feindschaft gegenüber Juden als Volksgruppe oder als Religionsgemeinschaft. Der Begriff wird seit dem 19. Jahrhundert gebraucht, oft als Synonym für eine allgemeine Judenfeindlichkeit. Im Mittelalter wurden Juden für den Kreuzestod Jesu verantwortlich gemacht und als "Gottesmörder" beschuldigt. Während der Kreuzzüge entlud sich die Feindschaft in mörderischen Ausschreitungen, Vertreibungen und Zwangsbekehrungen.

Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler (dpa)
Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
KNA