Laut Kardinal Rai hätte Krieg verhindert werden können

Niemand wollte den Krieg

Weder Volk noch Regierung wollten den Krieg im Libanon, sagt das Oberhaupt der größten christlichen Kirche im Land. Angesichts Hunderttausender Flüchtlinge sieht der maronitische Patriarch Rai noch eine weitere Bedrohung.

Kardinal Bechara Boutros Rai / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Bechara Boutros Rai / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Nach Ansicht des maronitischen Patriarchen, Kardinal Bechara Rai, hätte der Krieg im Libanon vermieden werden können. "Die Regierung wollte ihn nicht und das Volk wollte ihn nicht. Kein Libanese wollte diesen Krieg, es ist die Entscheidung von Hassan Nasrallah und der Hisbollah", sagte Rai im Interview der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" (Dienstag). Der Krieg zerstöre den Libanon: "Israel hat gesagt, dass es den Libanon zu einer Wüste machen wird, und er wird tatsächlich zu einer Wüste."

Keine Aussicht auf Waffenruhe

Die Eskalation des Krieges sei bereits im Gange, so das Oberhaupt der größten christlichen Kirche im Libanon. Es gebe keine Menschlichkeit mehr, keinen Respekt vor den Menschenrechten, keinen Respekt vor dem Völkerrecht. Viele unschuldige Menschen seien gestorben.

Daran ändert laut Rai auch der Tod von Hisbollah-Chef Nasrallah nichts: "Die Dinge werden sich nicht ändern, solange der Iran die Hisbollah unterstützt." Deren Kämpfer fühlten sich mit dem Geld und den hoch entwickelten Waffen des Iran stärker als zuvor, hofften auf einen Sieg und seien nicht an einer Waffenruhe interessiert.

Zudem beschuldigten sie jeden, der nicht zum Krieg aufrufe, ein Komplize Israels zu sein. "Das sagen sie auch über mich", so der Kardinal. "Aber es gibt nichts, was wir mehr hassen, als Komplizen von irgendjemandem zu sein: Wir sind Libanesen, du bist Libanese, wir sind alle Libanesen, warum müssen wir an den Iran gebunden sein, der euch fernsteuert, um Krieg gegen Israel zu führen?"

Drohender Religionskonflikt

Angesichts der vielen Kriegsflüchtlinge im Land sieht der Patriarch zudem die Gefahr von Konflikten zwischen den Religionen: "Die große Mehrheit der Vertriebenen sind schiitische Muslime, sie leben in christlichen Gebieten - und das ist kein Problem. Aber wenn der Krieg vorbei ist, wohin sollen sie dann zurückkehren? Sie haben kein Zuhause mehr."

Viele seien derzeit in staatlichen Schulen untergebracht, andere lebten bei Freunden, aber wie lange könnten sie bleiben, was passiere mit dem Schulunterricht? "Wir fürchten einen Zusammenstoß und müssen ihn vermeiden", so Rai, der zurzeit einen Gipfel zwischen muslimischen und christlichen Religionsvertretern in Beirut plant.

Quelle:
KNA