Laut NRW-Studie haben 24 Prozent antisemitische Überzeugung

Bildung hat nur geringen Effekt

Antisemitische Ansichten sind in Nordrhein-Westfalen weiter verbreitet als gedacht. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie im Auftrag der NRW-Landesregierung. Die Ergebnisse bereiten Experten Kopfzerbrechen.

Autor/in:
Alexander Pitz
Eine schmutzige Kippa liegt in einer Pfütze / © Harald Oppitz (KNA)
Eine schmutzige Kippa liegt in einer Pfütze / © Harald Oppitz ( KNA )

Demnach haben bis zu 24 Prozent der Befragten gefestigte antisemitische Überzeugungen unterschiedlicher Form. Bei einzelnen als einschlägig erachteten Fragestellungen fiel der Wert deutlich höher aus. So forderten 47 Prozent, einen "Schlussstrich unter die Vergangenheit" des Holocausts zu ziehen. Die Gruppe der 16- bis 18-Jährigen ist laut der Erhebung zudem "auffällig israelfeindlich eingestellt".

Die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger äußerte sich bei der Vorstellung der Ergebnisse besorgt: "Wir müssen uns intensiver mit einer Strategie für die sozialen Medien beschäftigen." 

Tiktok für Prävention in den Blick nehmen

Mithilfe einer Machbarkeitsstudie will sie noch in diesem Jahr Grundlagen für das weitere Vorgehen erarbeiten. Die frühere Bundesjustizministerin regte an, speziell die unter Jugendlichen beliebte Plattform Tiktok bei der Präventionsarbeit in den Blick zu nehmen.

"Leider kommt man da nicht drumherum", sagte die FDP-Politikerin. Dass besonders junge Menschen israelfeindliche Ressentiments hegten, sei erschreckend. Dies zeige, dass beim Wissen über Israel und den Nahostkonflikt Nachholbedarf bestehe.

Für die aktuelle Studie wurden in Zusammenarbeit mit dem Allensbach-Institut zwischen dem 8. März und dem 13. April 1.300 Personen ab 16 Jahren befragt. Bei der Auswertung unterschieden die Forscher zwischen verschiedenen Formen des Antisemitismus, darunter etwa religiöser und israelbezogener Judenhass.

Bildung hat nur geringen Effekt

"Antisemitismus ist weiter verbreitet als bisher gedacht", resümierte Heiko Beyer, einer der Projektleiter der Studie. Überraschend sei überdies, dass Bildung "nur einen schwachen vorurteilsmindernden Effekt" habe. Eine hohe Bildung schütze also nicht zwangsläufig vor antisemitischen Einstellungen, so der Forscher der Universität Düsseldorf.

Zu den weiteren Erkenntnissen zählt den Angaben zufolge, dass sich auch hinsichtlich des Migrationshintergrunds keine signifikanten Unterschiede zeigen. Auffälligkeiten gibt es indes in Sachen Religion: So liegen die Antisemitismus-Werte von Muslimen über jenen von evangelischen und katholischen sowie nicht-religiösen Befragten.

Soziale Medien als aktuelle Propagandaform  

Studien-Co-Leiter Lars Rensmann von der Universität Passau forderte als wesentliche Konsequenz aus den Resultaten regulierende Eingriffe bei den Sozialen Medien. Diese seien zur neuen Propagandaform des 21. Jahrhunderts geworden, die bis ins Kinderzimmer hineinreiche. 

Schulen und Lehrer seien damit überfordert. Angesichts der hohen Anfälligkeit junger Menschen für Antisemitismus plädierte Rensmann dafür, Betreiber von Online-Plattformen für Antisemitismus und Desinformation haftbar zu machen.

Zu konkreten politischen Maßnahmen wollte sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Dienstag hingegen nicht äußern. Die weiteren Schritte müssten klug abgewogen werden, betonte er. Für ihn sei jedoch klar, dass man die Dinge nicht so weiterlaufen lassen könne wie bisher. 

Antisemitismus

Antisemitismus nennt man die offen propagierte Abneigung und Feindschaft gegenüber Juden als Volksgruppe oder als Religionsgemeinschaft. Der Begriff wird seit dem 19. Jahrhundert gebraucht, oft als Synonym für eine allgemeine Judenfeindlichkeit. Im Mittelalter wurden Juden für den Kreuzestod Jesu verantwortlich gemacht und als "Gottesmörder" beschuldigt. Während der Kreuzzüge entlud sich die Feindschaft in mörderischen Ausschreitungen, Vertreibungen und Zwangsbekehrungen.

Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler (dpa)
Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
KNA