KNA: Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen prüft, ob der "Praenatest" zur Kassen-Regelleistung bei Risikoschwangerschaften wird. Die Lebenshilfe ist dagegen. Warum?
Ulla Schmidt (Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und und frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt / SPD): Wenn der Test zur Regelleistung für Schwangere wird, wird zum einen das Bild vermittelt, eine Welt ohne Behinderung sei möglich. Das stimmt nicht. 98 Prozent aller Behinderungen werden erst nach dem zweiten Lebensjahr erworben. Darüber hinaus erhöht sich der Rechtfertigungsdruck für Eltern, die sich gegen eine Abtreibung und für ein behindertes Kind entscheiden. Und der Test liefert auch viele Falschbefunde.
KNA: Es gibt bereits Tests - als Kassenleistung - auf Trisomie 21, etwa eine Fruchtwasseruntersuchung. Diese ist für Mutter und Kind riskanter als der Praenatest. Sollte nicht immer die medizinisch sicherste Methode genutzt werden?
Schmidt: Sicherer ist der Praenatest nicht, denn die meisten machen anschließend noch die riskanteren Tests wie die Fruchtwasseruntersuchung. Wir wollen, dass der Test nur in eng begrenzten Fällen einer Risikoschwangerschaft von den Kassen finanziert wird und nur mit der umfassenden ärztlichen Beratung, die im Gendiagnostikgesetz festgeschrieben ist. Er darf keine Regelleistung werden.
KNA: Der Test ist schon auf dem Markt und teuer. Besteht damit nicht aktuell eine Diskriminierung von Geringverdienern? Diese Ungleichbehandlung würde durch eine Kostenübernahme der Kassen wegfallen.
Schmidt: Ich möchte nicht, dass der Test nur für die da ist, die das Geld haben. Aber ich möchte Anwendungsregeln für alle. Wir brauchen hier eine breite gesellschaftliche Debatte.
KNA: Kriterien für eine Risikoschwangerschaft sind vielfältig - sie reichen vom Alter - über 35 Jahre - bis hin zu Herzleiden oder schlechten Schilddrüsenwerten. Kurzum, sehr viele Schwangerschaften scheinen riskant zu sein. Sind diese Kriterien noch zeitgemäß?
Schmidt: Das kann nur die Ärzteschaft entscheiden. Der GBA sollte das aber durchaus diskutieren.
KNA: Frauen sind bei der ersten Geburt deutlich älter als vor 20 Jahren. Im Schnitt bekommen sie ihr erstes Kind mit 30 Jahren. Müsste hier allein das Alter als Risikofaktor nicht angepasst werden?
Schmidt: Auf jeden Fall. Frauen mit 40 können heute völlig risikolos Kinder bekommen. Zudem ist es auch für die betroffene Frau ein Schock, wenn einer eigentlich gesunden Frau mit 35 Jahren erklärt wird, ihre Schwangerschaft sei eine Risikoschwangerschaft. Das führt auch dazu, dass die Frau sich im Zweifelsfall die Schuld für Komplikationen gibt.
Das Interview führte Anna Mertens.