Vor dem Altar der Sankt-Johannes-Kirche stand Küngs mit hellroten Rosen geschmückter Kirschholzsarg. Der gebürtige Schweizer war am Osterdienstag im Alter von 93 Jahren in seinem Haus in Tübingen gestorben.
Vorgetragen wurden von ihm formulierte Gebete, dargebracht Kantaten von Johann Sebastian Bach und Stücke von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Wegen der Pandemie hatten nur wenige geladene Gäste Zutritt. Der Südwestrundfunk (SWR) übertrug die Feier live im Fernsehen.
Rehabilitierung ist ausgeblieben
In seiner Predigt betonte Pfarrer Wolfgang Gramer, Küng habe die Freiheit der Kinder Gottes vertreten, auch weil er an der falsch verstandenen Lehre einer Unfehlbarkeit des Papstes gerüttelt habe. Wegen Küngs Äußerungen dazu hatte ihm die katholische Kirche 1979 die Lehrerlaubnis entzogen.
Mit Blick auf eine Rehabilitierung sagte Gramer, Papst Franziskus habe Küng Grüße und brüderliche Segenswünsche "in christlicher Gemeinschaft" übermitteln lassen. Als "halber Argentinier" habe er, Gramer, diese Botschaft verstanden, als "halber Deutscher" warte er "immer noch auf den konkreten Schritt aus Rom". Gramer war mit Küng freundschaftlich verbunden.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) würdigte in seiner Ansprache nach dem Gottesdienst Küng als "einen der großen geistigen Lehrer meiner Generation". Aus der Erschütterung des Entzugs der Lehrerlaubnis habe Küng einen Neubeginn gemacht.
Der Wissenschaftler sei auch ein Seelsorger "in zentralen Sinnfragen des Lebens" gewesen, so Kretschmann. Auch ihm selbst habe er geholfen, aus einer tiefen Glaubenskrise herauszufinden. Kretschmann betonte, das ganz Land nehme Anteil an Küngs Tod: "Wir werden ihn nicht vergessen." Küng Idee eines weltumspannenden Ethos' werde Bestand haben.
Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) bezeichnete Küng als "unbeugsam". Bis zum Ende seines Lebens sei er im Dialog geblieben, auch mit seinen Kritikern. Das Weltethos-Institut werde in Tübingen fest verankert bleiben, so der Oberbürgermeister. Tübingen verabschiede sich "von einer der großen Persönlichkeiten unserer Zeit", so Palmer. Küng werde Tübingen und der Welt fehlen.
Der Tübinger Unirektor Bernd Engler nannte Küng einen der bedeutendsten Repräsentanten der Hochschule. Küng habe dem "standhaft kritischen Denken" eine Stimme gegeben. Es habe sich als Glücksfall erwiesen, dass der Theologe auch nach dem Entzug der Lehrerlaubnis seine geistige Heimat in Tübingen behalten habe.
Letzte Ruhe auf dem alten Stadtfriedhof
Küngs Nachfolger als Präsident der Stiftung Weltethos, Eberhard Stilz, bezeichnete Küng als "geistig-ethische Autorität" und "Weltbürger". In diesen Tagen gingen Trauerbekundungen aus allen Teilen der Welt in Tübingen ein. Menschen berichteten, wie Küngs "Samenkorn für eine friedliche Welt" aufgehe.
Seine letzte Ruhe fand Küng auf dem alten Stadtfriedhof. In unmittelbarer Nähe ist das Grab des Schriftstellers und Wissenschaftlers Walter Jens. Die Professoren waren über Jahrzehnte eng befreundet und hatten sich die Gräber reservieren lassen. Jens starb 2013.
In den vergangenen 30 Jahren hatte sich Küng für den Dialog der Weltreligionen engagiert, insbesondere im "Projekt Weltethos". Der Wissenschaftler, dessen Bücher in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden und Millionenauflagen erreichten, erhielt viele Preise, darunter mehr als ein Dutzend Ehrendoktorwürden.