"Es sei an der Zeit, eine Nation allein mit den Libanesen zu errichten, in der "sie entscheiden, was sie wollen, ohne Einfluss von außen", sagte der Mitbegründer der Gruppe "Spirituelles Treffen im Mount Lebanon", der schiitische Scheich Muhammed Ali Al-Hajj Al-Amili, laut Mitteilung des Patriarchats. Eine Delegation der Gruppe hatte Rai am Donnerstag an dessen Sommersitz in Dimane besucht.
Rai bezeichnete das Treffen als "Mikrokosmos eines diversen, multikulturellen und multireligiösen Libanon". Aufgrund dieser Natur des Landes könne es keine andere Lösung geben als Neutralität. Das Land dürfe weder mit dem Westen noch dem Osten Allianzen eingehen; "andernfalls werden die Maroniten nach Frankreich gehen, die Sunniten nach Saudi-Arabien, die Schiiten in den Iran oder nach Nadschaf", so das Kirchenoberhaupt.
Loyalität zu Heimatland, nicht zu Religionsgemeinschaft
Die Neutralität habe dem Libanon einst zum Ärger Israels Türen für den Handel geöffnet und Wohlstand gebracht. Von dieser Linie sei das Land mit dem Kairoer Abkommen von 1969 über palästinensische Milizen, dem Krieg von 1975 und dem Scheitern der Milizen abgekommen und dadurch in Isolation, Armut und Not geraten.
Erneut betonte Rai, sein Neutralitätskonzept richte sich nicht gegen die Hisbollah, sondern sei im Interesse aller. Heute brauche es Loyalität zum Heimatland, nicht zu einer Religionsgemeinschaft. "Wir müssen das Libanesentum vor die Religionsgruppe stellen", so der Kardinal.
In einer anschließenden Stellungnahme erklärte die Gruppe laut Bericht, absolute Neutralität sei "ein Muss für kleine Nationen und kleine politische Einheiten voller ethnischer und ideologischer Widersprüche wie dem Libanon, der Schweiz und Singapur". Kleine Länder, die ihre Neutralität aufgeben, würden "entweder geschluckt oder von großen Ländern geteilt und hören auf zu existieren".