Libanon gedenkt der Opfer der Explosion vor zwei Jahren

Kardinal Rai fordert internationale Untersuchung

Am zweiten Jahrestag der Explosion im Hafen von Beirut dominieren im Libanon Rufe nach Aufklärung der Katastrophe. Kardinal Bechara Rai erneuerte seine Forderung nach einer internationalen Untersuchung.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Blick auf die zerstörten Getreidesilos im Hafen von Beirut bei Sonnenuntergang, am Vorabend des zweiten Jahrestages der Explosion, bei der mehr als 200 Menschen getötet und über 7.000 weitere verletzt wurden / © Marwan Naamani (dpa)
Blick auf die zerstörten Getreidesilos im Hafen von Beirut bei Sonnenuntergang, am Vorabend des zweiten Jahrestages der Explosion, bei der mehr als 200 Menschen getötet und über 7.000 weitere verletzt wurden / © Marwan Naamani ( dpa )

"Heute haben wir es mit zwei Verbrechen zu tun: der Explosion und der Blockade der Ermittlungen", sagte am Donnerstag der Patriarch der maronitischen Christen, Kardinal Bechara Rai, (laut Manuskript) bei einem Gottesdienst für die Opfer in der Georgs-Kathedrale in Beirut.

Patriarch kritisiert fehlende Aufklärung

Die fehlende Aufklärung, so der Patriarch, sei "vorsätzlich" und ebenso schlimm wie die Explosion selbst, bei der mehr als 220 Menschen starben und rund 7.000 weitere verletzt wurden. 

Libanesischer Patriarch Bechara Rai (Kathpress)
Libanesischer Patriarch Bechara Rai / ( Kathpress )

Der Patriarch warf den libanesischen Behörden Mittäterschaft, Mitwisserschaft und Unterlassung vor, während sich die Justiz und der zuständige Richter aus der Verantwortung zögen. 

Die Geschichte werde aber jene nicht vergessen, die versuchten, die "Wahrheit über das Verbrechen und das Recht des Volkes auf Gerechtigkeit auszulöschen".

Forderung nach interner Untersuchung 

Rai erneuerte unter Verweis auf die "politisierte Justiz" im Libanon seine Forderung nach einer internationalen Untersuchung, "da es sich um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln könnte, wenn sich herausstellt, dass es sich um eine vorsätzliche Tat handelt". 

Ein Staat habe nicht das Recht, eine interne Untersuchung zu verweigern und gleichzeitig eine internationale Untersuchung zu verhindern. Die Klärung der Katastrophe müsse ferner eine Priorität der künftigen Regierung und des neugewählten Präsidenten sein.

Auch der sunnitische Großmufti des Libanon, Scheich Abdul Latif Derian, verlangte Aufklärung und Gerechtigkeit für die Opfer. Die Erinnerung an die Explosion werde "eine schmerzhafte Seite in der Geschichte der Hauptstadt Beirut und des gesamten Libanon bleiben" und die Libanesen weiter verfolgen, "bis die Wahrheit bekannt ist", sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur NNA. 

Wer auch immer dieses Verbrechen verursacht habe, verdiene "die schwerste Strafe und Vergeltung, weil er eine nationale und humanitäre Katastrophe verursacht" habe.

Die Hisbollah verurteilte unterdessen eine "große Welle intensiver politischer und medialer Kampagnen", die in den vergangenen zwei Jahren durch falsche Anschuldigungen und Aufwiegelung zu "einer sehr gefährlichen internen Spannung" geführt hätten. Die Sicherheit und Stabilität des Landes seien dadurch zum Einsturz gebracht, hieß es laut NNA (Donnerstag).

Vertreter der Politik äußern Mitgefühl mit Betroffenen

Zahlreiche Vertreter der libanesischen Politik äußerten am Donnerstag ihr Mitgefühl mit den Familien der Opfer und den Verletzten. Der im Oktober aus dem Amt scheidende Präsident Michel Aoun versprach laut örtlichen Medienberichten, den Familien der Toten "Gerechtigkeit" zukommen zu lassen. Auch der designierte Ministerpräsident Nadschib Mikati rief dazu auf, "die Verbrecher zu bestrafen".

Zum Gedenken an die Opfer sollten am Nachmittag mehrere Märsche durch Beirut stattfinden. Die Sicherheitskräfte sperrten unterdessen das Hafengebiet ab, da mit dem Einsturz weiterer Teile des Getreidesilos zu rechnen sei. Am Sonntag waren Teile des bei der Explosion schwer beschädigten Speichers eingestürzt.

Ursprünglich hatte die libanesische Regierung bereits im April den Abriss beschlossen, die Pläne aber nach Protest von Opferangehörigen eingefroren. Die Familien machten geltend, dass die Silos möglicherweise Beweise im Zuge einer gerichtlichen Untersuchung enthalten. Zudem seien sie ein Mahnmal für den tragischen Vorfall, das es zu erhalten gelte.

EU-Ratspräsident Charles Michel mahnt zu Aufarbeitung

In Brüssel mahnte EU-Ratspräsident Charles Michel eine Aufarbeitung der Tragödie an. Es gehe um Gerechtigkeit und Rechenschaft, schrieb er am Donnerstag auf Twitter. Die EU wolle den Libanon bei Bemühungen um Reformen und Stabilität unterstützen. Diese seien nötig, um die schwere wirtschaftliche und soziale Krise des Landes anzugehen.

Bei der Explosion von ungesichert gelagerten 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat am 4. August 2020 im Hafen der libanesischen Hauptstadt waren mehr als 200 Menschen getötet und mehr als 6.500 weitere verletzt worden. Die Druckwelle zerstörte ganze Stadtteile; rund 300.000 Menschen wurden obdachlos. 

Die Folgen dauern bis heute an. Der Hafen von Beirut ist eine Drehscheibe für die Lebensmittelversorgung des ganzen Landes.

Der Libanon

Der Libanon ist geprägt durch das Nebeneinander zahlreicher Religionen. Mit etwa 30 Prozent hat die parlamentarische Demokratie den größten Anteil Christen in der Arabischen Welt. Die Muslime - Sunniten und Schiiten - machen inzwischen wohl mehr als 60 Prozent aus. Offiziell anerkannt sind 18 Religionsgemeinschaften, darunter die Minderheiten der Drusen und Alaviten.

Symbolbild: Flagge des Libanon / © Yulia Grigoryeva (shutterstock)
Symbolbild: Flagge des Libanon / © Yulia Grigoryeva ( shutterstock )
Quelle:
KNA