Martinsumzug im Flutgebiet in Schuld

Lichtblick und leuchtende Oase

Vier Monate nach der Flut herrscht in Schuld noch immer Ausnahmezustand. Trotzdem lässt die Ortsfeuerwehr den traditionellen Martinsumzug nicht ausfallen. Über die Sehnsucht nach einem Stück Normalität.

Autor/in:
Anna Fries
Sankt Martin im Ahrtal / © Julia Steinbrecht (KNA)
Sankt Martin im Ahrtal / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Licht und Schatten liegen in Schuld derzeit eng beieinander. Mit der einsetzenden Dämmerung leuchten in den Ortsteilen, die am Berg liegen, in immer mehr Häusern Lichter in den Fenstern. Unten im Tal, wo die Ahr fließt und in Schleifen das Dorf einrahmt, wird es hingegen dunkel. Dort wüteten im Juli die Wassermassen. Die Häuser, die noch stehen, sind weitgehend entkernt und noch immer unbewohnbar. Dazwischen klaffen immer wieder große Lücken, wo Häuser von den Fluten weggespült oder stark beschädigt abgerissen wurden.

Sankt Martin bringt Freude

Nun steht Sankt Martin an. Für die Feuerwehr als Veranstalter des traditionellen Martinsumzugs ist klar: Nach dem Corona-Jahr soll der Umzug kein zweites Mal ausfallen. "Dieses Jahr hätten wir allen Grund gehabt, wegen der Flut abzusagen. Aber genau das wollten wir nicht", betont Feuerwehrmann Tobias Lussi. Daher hat die Feuerwehr Dorfbewohner, Menschen aus den Nachbargemeinden und Helfer eingeladen.

Und so treffen in der Dämmerung die ersten Großeltern und Eltern mit Kindern am Sammelpunkt vor der katholischen Kirche Sankt Gertrud in Schuld ein. In kleinen Gruppen stehen Menschen allen Alters zusammen.

Um 18 Uhr, die Sonne ist inzwischen untergegangen, setzt sich der Zug in Bewegung, vorab das Pferd mit Reiter, dahinter der Musikverein aus Insul, der "Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind" spielt. Rund 250 Menschen, Kinder, Erwachsene, Senioren und Jugendliche folgen; "deutlich mehr als in den vergangenen Jahren", sagen alteingesessene Dorfbewohner.

Fackeln und Laternen leuchten im Dunkeln: Kraken, Piratenschiffe, Heißluftballons, Marienkäfer, Gespenster, Autos und Bagger. In der Kita hätten die Kinder in diesem Jahr vor allem Bagger, Feuerwehrautos und Bundeswehrpanzer - die bei Aufräumarbeiten im Einsatz waren - als Laterne gebastelt, erzählt eine Frau. "Die Kinder haben im Sommer wenig anderes gesehen."

Von der Kirche aus zieht der Zug bergab ins Tal, in den Teil des Dorfes, wo es vor der Flut einen Sportplatz und ein Dorfgemeinschaftshaus gab. "Weggeschwommen", sagen sie dazu in Schuld. Drei Flutlichtstrahler erhellen den dunklen Ortsteil. Manch einer hat Windlichter auf Fensterbänken, Mauervorsprüngen oder Treppen seines verlassenen und entkernten Hauses aufgebaut oder Lichterketten am Haus befestigt, aus denen ansonsten kein Licht dringt. Der Weg führt an einem Haus vorbei, dessen fehlende Außenwand mit Folie abgedichtet wurde. Darauf hat jemand einen Tannenbaum und 24 Türchen gemalt.

Ein Stück Normalität

Der Martinsumzug wolle ein Stück Normalität bieten, vor allem für die Kinder, sagt Feuerwehrmann Lussi. "Wir wollen den Menschen einen Ort der Begegnung geben, um auch wieder einmal über etwas anderes zu reden und etwas anderes zu sehen außer die Flut, mal ganz normal zusammenkommen", sagt der 25-Jährige - und schiebt sogleich hinterher: "Ja, was heißt schon normal."

Von einem Stück Normalität spricht auch Bürgermeister Helmut Lussi: "Wir sind jetzt seit vier Monaten so gebeutelt und es findet wenig Kommunikation zwischen den Bürgern untereinander statt." Aktionen wie der Umzug und Umtrunk im Anschluss sollten "die Bürger einen Schritt zu Normalität zurückführen, damit in absehbarer Zeit auch wieder normales Leben beginnen kann".

Mitten in einer abgesperrten Baustelle an der Ahr, wo tagsüber Bagger und Kipplader Schlamm und Schutt wegschaufeln, brennt meterhoch das Martinsfeuer. Oberhalb der Baustelle auf der Straße verweilt der Zug einige Minuten und zieht dann weiter Richtung Feuerwehr. Das leergeräumte Gerätehaus muss ersatzweise als Dorfgemeinschaftshaus herhalten. Es liegt mitten im schwer beschädigten Ortskern von Schuld, jedem Haus im Umkreis sieht man Spuren der Flut an. 20 Meter hinter dem Gerätehaus plätschert die Ahr in der Nacht. Zu normalen Zeiten ein harmloser, kleiner Fluss.

Einlass nach 3G-Regeln

Mit Bauzäunen hat die Feuerwehr das Gelände um das Gerätehaus abgesperrt, um den Einlass nach 3G-Regeln kontrollieren zu können.

Ein Zelt, ein Getränkestand, Bierbänke und Tische laden zum Verweilen ein. Strahler erhellen das Gelände. Feuerwehrmann Niklas Michels, mit Rüstung und rotem Mantel als Martin verkleidet, verteilt 150 Weckmänner und Süßigkeiten an Kinder. Erwachsene stehen und sitzen in Gruppen zusammen, essen, trinken, lachen, sprechen über den Alltag.

Über die Flut ist wenig zu hören. Viele wiederholen, was Feuerwehrmann Lussi als Ziel formulierte: "Es tut gut, nicht über das Hochwasser zu reden und einen Abend zusammen zu verbringen", freut sich eine Frau.

Auf der Theke des Getränkestands liegen Informationsflyer mit Hinweisen zur Begutachtung von Gebäudeschäden, Internet und Telefon, Hilfsangeboten des Opferbeauftragten des Landes, daneben Aufkleber mit dem Schriftzug #solidAHRität. Ansonsten wirkt das Feuerwehrhaus im flutgeschädigten Ortskern von Schuld an dem Abend wie eine kleine leuchtende Oase in der Dunkelheit, die die Häuser im Umkreis umhüllt.


Sankt Martin im Ahrtal / © Julia Steinbrecht (KNA)
Sankt Martin im Ahrtal / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA