Liturgieexperte fordert mehr Qualität bei den Gottesdiensten

"Wir brauchen eine neue Sinnlichkeit"

Auch an diesem Wochenende werden am Samstag und Sonntag nur ein Bruchteil der Gläubigen zur Messe gehen. Der Liturgiewissenschaftler Redtenbacher erklärt, warum er dennoch ein großes Potential in den gottesdienstlichen Feiern sieht.

Kelch und Hostienschale / © Wolfgang Lehner (KNA)
Kelch und Hostienschale / © Wolfgang Lehner ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sprechen am 18. November auf der Tagung "Liturgie im synodalen Wandel" in Vallendar. Welchem "synodalen Wandel" ist die Liturgie unterworfen?

Prof. Andreas Redtenbacher (privat)
Prof. Andreas Redtenbacher / ( privat )

Prof. Dr. Andreas Redtenbacher (Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft an der Vinzenz Pallotti University Vallendar): Der synodale Prozess und der Wandel, der durch die Weltsynode und durch Papst Franziskus ausgelöst ist, will im Wesentlichen das offene Potenzial, das in der Liturgiekonstitution des Konzils steckt, für heute neu fruchtbar machen und reaktivieren. Ich würde sagen, Papst Franziskus öffnet die Gegenwart für das Konzil und die Liturgiekonstitution.

Umgekehrt öffnet sich die Liturgie für die Gegenwart durch diesen synodalen Prozess. Das heißt, alles, was das Konzil gewonnen hat an aktiver Teilnahme der Gesamtgemeinde, die sich als Subjekt der Liturgie versteht, wird jetzt neu in den Fokus gerückt.

Prof. Andreas Redtenbacher

"Papst Franziskus öffnet die Gegenwart für das Konzil."

DOMRADIO.DE: Wie soll denn diese aktive Teilnahme an der Liturgie gestärkt werden, wo die Gottesdienste zurzeit immer leerer werden?

Redtenbacher: Aktive Teilnahme bedeutet in erster Linie, dass sich die Gemeinde selbst in die Liturgie einbringt und zwar zunächst einmal durch das, was früher liturgische Präsenz genannt wurde. Was heißt liturgische Präsenz? Liturgische Präsenz heißt, als ganzer Mensch da zu sein in der Liturgie. Das setzt umgekehrt voraus, dass in der Liturgie das Leben der Menschen vorkommt, dass die Liturgie nicht menschenfern, menschenfremd gefeiert wird, sondern dadurch auch anschlussfähig wird. Ich meine, dass dort ein Schlüssel dazu liegt, dass die Gottesdienste wieder attraktiver werden.

Prof. Andreas Redtenbacher

"Wir brauchen eine neue Sinnlichkeit in der liturgischen Feier."

DOMRADIO.DE: Wie kann man so einen Gottesdienst wieder attraktiver machen?

Redtenbacher: Indem zunächst einmal der Gottesdienst wirklich vorbereitet wird, in dem alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, den Gottesdienst in seiner ganzen Zeichenhaftigkeit sprechend zu machen. Dazu gehört, dass die Zeichen und Symbole stimmen, dass zum Beispiel das, was wir Materie im Gottesdienst nennen, also Brot auch als Brot erkennbar wird, Taufe als Wasserbad sichtbar wird, dass die Handlungen für die Menschen begreifbar sind, schlicht und klar sprechende Zeichen in ihrer ausgefeilten Sinnlichkeit. Wir brauchen eine neue Sinnlichkeit in der liturgischen Feier.

DOMRADIO.DE: Wie kann man sich Sinnlichkeit am besten äußern? Ist das eine Form von Musik oder Weihrauch oder etwas, dass nicht nur meinen Kopf anspricht?

Redtenbacher: Sie sagen es: mit allen Sinnen erleben. Da gehört der Geruchssinn dazu, da gehört der Sehsinn dazu, das Akustische und das alles in einer ansprechenden Qualität. Auch die Raumgestaltung ist wesentlich. Der Raum muss so sein, dass er einladend ist, Gemeinschaft stiftet, zugleich aber nach oben transzendent offen wirkt. Da gehört jedes Detail des Vollzugs der Liturgie dazu. Selbst der Kirchenschmuck und die Art, wie mit Kerzen und Weihrauch umgegangen wird, alle diese Bereiche, die spürbar, sichtbar, berührbar, hörbar, auch schmeckbar sind, gehören zur Sinnlichkeit der Liturgie dazu. Das Konzil sagt, die Zeichen mögen so sein, dass sie das, was sie ausdrücken, das Heilige, das sie ausdrücken, besser zur Sprache bringen als bisher. Das heißt: Konzentration auf das Wesentliche, das aber dann wirklich ganzheitlich.

Prof. Andreas Redtenbacher

"Konzentration auf das Wesentliche, das aber dann wirklich ganzheitlich."

DOMRADIO.DE: Ihr Studientag am 18. November hat genau dies zum Inhalt. Richtet sich dieser vor allem an die Hauptamtlichen, die mit Gottesdiensten und Gestaltung befasst sind oder auch an Leute, die ein Interesse daran haben, die auf der anderen Seite des Altars in den Bänken sitzen?

Redtenbacher: Ich denke im eigentlichen an beide. Die Gestaltenden, die Verantwortlichen in der Liturgie, das wären durchaus auch die Pfarrer, Kapläne, Pastoralreferenten, Leiter von Liturgiegruppen in den Pfarreien. Aber auch Leiter von Chören zum Beispiel, Lektoren, Kommunionhelfer, also alle, die Verantwortung für den Ablauf der Feier haben. Das ist die eine Gruppe.

Die andere Gruppe ist natürlich adressiert in den Teilnehmern, die tiefer eindringen wollen, die Liturgie verstehen wollen, die Liturgie von innen her begreifen wollen und dann noch besser mitfeiern können. Dazu gehört natürlich das ganz wichtige Stichwort der liturgischen Bildung. Das ist ein Thema, das uns in der Praxis fast abhanden gekommen ist. Liturgische Bildung findet statt, wo Rollenträger wie Lektoren, Kommunionhelfer, Wortgottesdienstleiter, Begräbnisleiter und so weiter ausgebildet werden, aber nicht in die Breite der Gemeinde hinein.

Dadurch wird die Bedeutung des Gottesdienstes für die Gemeinde nicht bewusst. Und ich halte das auch für einen der Gründe, warum Gottesdienste vielfach nicht mehr oder nur mehr sehr wenig besucht werden. Es käme darauf an, lebendige Liturgiegemeinden zu schaffen, wo ein Feuer spürbar ist für das, was die Sache des Gottesdienstes ausmacht, nämlich das Berührtwerden durch den anwesenden Gott in den liturgischen Zeichen und Vollzügen, natürlich auch in seinem Wort.

DOMRADIO.DE: Es gibt vielfach eine sehr starke Fokussierung auf die Feier der Heiligen Messe, aber auch auf die Person des Priesters, der die Qualität der Liturgie nicht unwesentlich beeinflusst. Wie kann man dieser klerikalen Fokussierung in Zukunft etwas mehr entgehen?

Redtenbacher: Das Problem hat zwei Seiten. Die Seite eins ist: Wer ist Vorsteher der Liturgie? Es gibt - auch durch die Not bewegt - die Situation, dass etliche gottesdienstliche Feiern nicht mehr den Priester als Vorsteher haben. Aber auch dafür gilt dasselbe, was für Priester gilt: Es darf nicht so sein, dass die Liturgie - ich sage es jetzt scharf - zu einer Selbstdarstellung des Vorstehers verkommt, dass die Leute nachher zwar sagen, er habe eine herrliche Performance hingelegt, aber dass sie von dem, was die Liturgie feiert, der Begegnung mit Gott, nicht berührt sind.

Prof. Andreas Redtenbacher

"Es darf nicht so sein, dass die Liturgie zu einer Selbstdarstellung des Vorstehers verkommt."

Das heißt, Vorsteher, Priester oder nichtordinierte Vorsteher müssen sich eine "Ars celebrandi" aneignen und erlernen, die sich selbst zurücknimmt, aber doch in der Gestaltung wieder ganz einbringt. Hier gilt ein bisschen das Motiv Johannes' des Täufers, der sich ganz ins Zeug gelegt hat, aber gesagt hat: Ich bin es nicht. Es ist Christus, auf den ihr hinschauen müsst.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Liturgie

Liturgie bezeichnet im Christentum und Judentum das Verständnis und die Ordnung der Zeremonien des Gottesdienstes. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt öffentlicher Dienst. Neben der Heiligen Messe gehören dazu beispielsweise Taufe, Trauung oder Bestattung. Die Formen, Regeln und Vorschriften der römischen Liturgie haben sich im Lauf der Jahrhunderte verändert; grundsätzlich legt der Papst sie fest. Dazu zählen etwa die Vorgabe bestimmter Gebete oder Regeln zum Ablauf des Gottesdienstes sowie Form und Farbe von Messgewändern.

Hochgebet auf deutsch / © Harald Oppitz (KNA)
Hochgebet auf deutsch / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR