DOMRADIO.DE: Wie haben Sie denn persönlich diese Niederlage erlebt?
Pfarrer Andreas Blum (Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde London): Die Hoffnungen waren natürlich groß. Nach 58 Jahren "of hurt", also der Schmerzen, der Leidensfähigkeit und der Tatsache, dass man so lange keinen Titel mehr gewonnen hat, waren die Hoffnungen nach den Steigerungen in den letzten Tunieren dann doch groß und man wollte jetzt den Titel endlich holen.
Sie kennen ja die berühmte englische Hymne "Football's Coming Home" von 1996. Jetzt heißt es, dass es für England als die Heimat des Fußballs doch wieder nicht geklappt hat.
DOMRADIO.DE: Wird denn heute bei Ihnen in der Gemeinde über Fußball gesprochen? Müssen Sie vielleicht sogar trösten?
Blum: Da habe ich Unterstützung, und zwar aus dem Königshaus. Also König Charles III. erweist sich gerade als hervorragender Seelsorger. Er hatte bereits vor dem Spiel in einer launigen Erklärung die Mannschaft gebeten und sie ermuntert, den Sieg zu sichern, aber bitte ohne Wundertore in der letzten Minute oder ohne ein Drama im Elfmeterschießen, einfach um den Blutdruck und dem Herzen der Nation nicht weiteren Schaden zuzufügen.
Und so hat er auch am Ende des Spiels nach der Niederlage ihnen Mut zugesprochen und gesagt, sie könnten stolz sein, sie sollten mit erhobenem Haupt zurückkehren. Allein im Finale gewesen zu sein, sei schon ein großer Erfolg. Er, seine Familie und auch die Nation würden die "Three Lions" weiter anfeuern. Er wäre sicher, dass große Triumphe noch kommen würden.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie selbst müssen da gar nicht groß in Aktion treten, der König reicht...
Blum: Nein. Den König kann ich nicht toppen (lacht). Wir Deutschen in meiner Gemeinde und unsere im Moment vor allem italienischen Gäste haben zwar alle den Engländern die Daumen gedrückt, aber man muss auch ehrlicherweise sagen, dass die Spanier das bessere Spiel geliefert haben. Bei den Engländern war noch ein bisschen Luft nach oben.
DOMRADIO.DE: Die englische Mannschaft hatte sich tatsächlich mehr oder weniger bis ins Finale so durch gemurmelt. Es gab viele schlechte Spiele in der Vorrunde, danach wurde einiges besser in der K.O.-Phase. Wird diese Steigerung in England zumindest honoriert?
Blum: Ja, honoriert wird, dass man sich zurückkämpft. Also auch wenn man keinen guten Start hatte, wie gestern im Finale, dann aber das Ausgleichstor noch erzielt und überhaupt dazu in der Lage zu sein, wird das schon honoriert. Das hat sicherlich auch etwas mit dieser Underdog-Rolle zu tun, in der sich England für das Endspiel gesehen hat. Für die Zukunft hofft man, vielleicht tatsächlich bis zum Titel zu kommen.
DOMRADIO.DE: Der Trainer gilt und galt als Sündenbock. Jetzt ist die Mannschaft immerhin Vize-Europameister. Das wird ihm wahrscheinlich nicht helfen, oder?
Blum: Die kritischen Stimmen werden lauter. Man honoriert auf der einen Seite, wenn man mal die Ausgangslage sieht, was Gareth Southgate als Cheftrainer erreicht hat: In den 1990er Jahren galt England eher als eine Lachnummer. Das wird jetzt schon anders gesehen. Immerhin haben sie zweimal im Finale gestanden. Auch wenn sie beide verloren haben, ist die Mannschaft doch so weit gekommen - das wird schon honoriert.
Aber nach acht Jahren als Trainer gibt es schon Rufe nach einem Wechsel, nach einer anderen Strategie. Es wird spannend sein zu sehen, ob er selber überhaupt noch weitermachen möchte oder ob die englische Mannschaft bald einen neuen Trainer bekommt.
DOMRADIO.DE: Bei uns in Deutschland war die EM ja ein Turnier, das die Fankultur ganz entscheidend wieder nach vorne gebracht hat. Die Nationalmannschaft hat es geschafft, die Fans wieder in ihren Bann zu ziehen. Die haben aus dieser EM ein richtig schönes Fest gemacht. Wie ist die Verbindung Mannschaft-Fans in England? Haben Sie da was beobachtet in den vier Wochen der EM?
Blum: Der Oberbürgermeister von London, Sadiq Khan, hatte diesmal keine Fanzonen eingerichtet, also nicht wie noch bei der letzten Europameisterschaft. Das ist kritisiert worden. "Killjoy" wurde er genannt, als Spiel- und Spaßverderber. Der Vorwurf war, dass er eben nicht diese Plattform der Fankultur geboten hat, dass so die ganze Stadt hätte mitgerissen werden können.
Die Engländer sind dann selber in einigen Vierteln aktiv geworden. Es gab etwa die Plakataktionen, "God save the Team" zum Beispiel. Also, man hat zur Eigeninitiative gegriffen und steht schon voll hinter dieser jungen Mannschaft.
Das Interview führte Carsten Döpp.