domradio.de: Kleriker, Ordensleute und Laien, unter ihnen auch zwei Deutsche, sind am Samstag selig gesprochen worden. Sie alle wurden in der Zeit von 1946 bis 1974 in der kommunistischen Diktatur unter Enver Hoxha ermordet. Zu Ehren des aus dem Erzbistum Köln stammenden Märtyrers Josef Marxen ist auch der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki zur Feier ins nordalbanische Shkodra gereist. Aber was bedeutet dieses katholische Großereignis überhaupt für die Kirche Albaniens?
Erzbischof Angelo Massafra (Erzbischof von Shkodra-Pult): Die Seligsprechung ist ein großes Fest und ein wichtiges Zeugnis. Unsere Kirche in Albanien hat so viel gelitten, sie ist eine Märtyrer-Kirche. Aber nach langen Jahren des Schweigens während des Kommunismus verharrt sie längst nicht mehr in Stille. Und nun spricht Kardinal Angelo Amato im Auftrag von Papst Franziskus diese mutigen Menschen hier in der Kathedrale von Shkoder selig. Das hebt vor den Augen der Welt den ganzen Reichtum dieser Kirche hervor - einer kleinen Kirche, einer materiell armen Kirche. Indem viele ihrer Kinder selig gesprochen werden, wird auch diese Kirche geehrt. Und mit diesen 38 Märtyrern werden zugleich tausende Andere gewürdigt, die damals gefoltert und getötet wurden. Denn von vielen dieser Opfer kennen wir nicht einmal den Namen.
domradio.de: Unter den Opfern des Kommunismus waren besonders viele Katholiken. Warum hatten Diktator Enver Hoxha und seine Schergen es so sehr auf die Katholiken abgesehen?
Erzbischof Massafra: Weil die Kirche, besonders auch hier im Norden Albaniens, sehr stark war: Die Kultur war in katholischer Hand, die Schulen, die geistige Elite. Hoxha sah, dass diese Katholiken sehr fähige Leuten waren und hatte Angst, sie könnten das Volk ermutigen, gegen die Diktatur zu rebellieren. Tatsächlich hatten viele der Geistlichen schon vor der Machtergreifung der Kommunisten in Albanien davor gewarnt, dass auch hier der Bolschewismus Einzug halten würde. Sie wussten von den Verbrechen Stalins in Russland. Und so appellierten sie an die Leute, in Albanien nicht etwas Ähnliches geschehen zu lassen. Das konnte Hoxha nicht gefallen.
Die Kommunisten wollten Gott in ganz Albanien ausradieren, aus der Geschichte des Landes, aus dem öffentlichen und dem privaten Leben. Alle kirchlichen Gebäude waren geschlossen, alle Kreuze verbannt, schon 1946 hatten sie die katholischen Schulen und Seminare dicht gemacht; sie hatten Kulturgüter und Möbel beschlagnahmt. Bis heute haben sie uns beispielsweise einen Großteil des Bücherschatzes unserer Bibliotheken nicht zurückgegeben. Uns haben sie mit Mikrofilmen abgespeist, während die Bücher noch immer im staatlichen Zentralarchiv in Tirana stehen. Die katholische Kirche hat in dieser Zeit also sehr gelitten, sich aber niemals dem Diktator gebeugt. Vor Gericht haben unsere Katholiken damals gesagt: "Wenn ihr unsere Kirchen zerstört, werden wir sie noch schöner wieder aufbauen!" Und heute stehen schon viele dieser Kirchen schöner als je zuvor da.
domradio.de: Was wissen Sie über den deutschen Priester Josef Marxen, der 1906 in Worringen bei Köln geboren und 1946 in Tirana erschossen wurde?
Erzbischof Massafra: Josef Marxen war wirklich ein großartiger Mensch, den nicht nur die Katholiken liebten, sondern auch die Muslime. Als die deutschen Soldaten zum Ende des Zweiten Weltkriegs Albanien verließen, sagten sie ihm: "Komm mit uns nach Hause, die Kommunisten werden euch Kirchenleuten an den Kragen gehen!" Aber er wollte seine Gemeinde nicht im Stich lassen und antwortete: "Ich bleibe hier. Auch die Moslems werden mich verteidigen. Und wenn ich Probleme kriegen sollte, wird der Herr mir helfen." Tatsächlich haben nach seiner ersten Festnahme Katholiken und Muslime gemeinsam dafür gekämpft, ihn aus dem Gefängnis frei zu bekommen. Dann aber verhafteten die Kommunisten ihn ein zweites Mal und brachten ihn dieses Mal sofort um.
domradio.de: Die Straße vor der Kathedrale hat im Rahmen dieser Seligsprechungen eine besondere Bedeutung, oder?
Erzbischof Massafra: Ja - weil sie auch der letzte Weg vieler unserer Märtyrer auf dem Weg zur Hinrichtung war. Und wir möchten diese Straße zu einem Mahnmal machen, indem wir Fußabdrücke mit ihren Namen in den Boden einlassen. Sie sollen für immer daran erinnern, was passiert, wenn der Mensch sich zum Gott erhebt. Denn nichts anderes hat Hoxha getan: Er hat sich an die Stelle Gottes gesetzt und ein ganzes Volk ins Unglück geführt, es zerstört. Der unmenschlichste Kommunismus ist der, den das geschundene albanische Volk erleiden musste. Aber jetzt feiern wir dieses Fest der Seligsprechung und gehen der Zukunft voller Vertrauen und Hoffnung entgegen.
domradio.de: Das dürfte vielen Albanern eher schwer fallen. Die meisten sind bitterarm, wollen einfach nur weg und woanders ihr Glück versuchen.
Erzbischof Massafra: Dahinter steht, dass die Armut weiter zunimmt und die Menschen hier in Albanien einfach keine Zukunftsperspektiven für sich und ihre Nachkommen sehen. So gehen sie weg. Nach Australien, nach Kanada, nach Deutschland oder Italien, wohin auch immer sie es sich leisten können. Das ist schlimm, weil das Land seine Menschen verliert – und damit diejenigen, die doch die Zukunft aufbauen müssten. Wir als Kirche können da nur unsere Stimme erheben und die Armen verteidigen. Bei jeder Gelegenheit appellieren wir an die Politiker, etwas für die Familien, etwas für die Armen zu tun. Inwieweit unsere Stimme Gehör findet, ist eine ganz andere Frage.
domradio.de: Welche Signalwirkung kann von der Seligsprechung vor diesem Hintergrund ausgehen?
Erzbischof Massafra: Die Märtyrer sind Modelle für uns. Sie sind aus Liebe zu Gott, zu Christus und zur katholischen Kirche gestorben - aber auch für ihr Vaterland, für Albanien. Fast alle von ihnen hätten ja einfach gehen können und sich in Sicherheit bringen können - zurück in ihre Heimatländer oder in den Vatikan. Sie hätten die Gelegenheit dazu gehabt, aber sie sind geblieben. Aus Liebe zu Gott und zu Albanien. Und daran könnten sich unsere Katholiken und überhaupt alle Albaner ein Beispiel nehmen - zu bleiben, obwohl die Umstände widrig sind.
Das Gespräch führte Hilde Regeniter.