Maßnahmenkatalog gegen religiös motivierte Übergriffe

Getrennte Unterkünfte

Ehemalige Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft sagen, sie hätten als Christen unter muslimischen Mitbewohnern gelitten. Die katholische und die evangelische Kirche sind skeptisch. Die Einrichtung bietet nun nach Religionen getrennte Unterkünfte an.

Christliche Flüchtlinge in Berlin  / © Gregor Fischer (dpa)
Christliche Flüchtlinge in Berlin / © Gregor Fischer ( dpa )

Beschimpfungen und Gewalt gegen christliche Flüchtlinge in Unterkünften: Umstrittene Berichte der Organisation "Open Doors" haben darüber in diesem Jahr für Aufsehen gesorgt. Behörden und Kirchen sind generell gegen eine getrennte Unterbringung nach Religion. Anders ist es in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung Rotenburg an der Fulda. Zwei ehemalige Bewohner erzählen, warum.

Die christlichen Iraner Hamed F. (24) und Morteza G. (33) lebten von Februar bis August in der Einrichtung. Sie seien dort als "unrein" beschimpft worden, sagen sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Frankfurt am Main. Er sei deshalb mehrfach aus den Gemeinschaftsduschen ausgesperrt worden, berichtet Morteza G. Das Wachpersonal habe erwidert: "Wenn nichts Schlimmes passiert, können wir nichts machen."

Beschimpfungen und Schläge 

"Am Anfang war alles gut", sagt Hamed F. "Aber als wir anfingen, sonntags zu einem Gottesdienst zu gehen, fingen die Beschimpfungen an." Die Feindseligkeiten durch einige der muslimischen Mitbewohner hätten sich zu Tätlichkeiten gesteigert. Einem christlichen Freund sei ein Zahn ausgeschlagen, einem anderen die Hand gebrochen worden. Muslimische Iraner hätten dagegen keine Probleme bekommen.

Im vergangenen Juli seien Konflikte zwischen Muslimen und Christen in der Unterkunft bekanntgeworden, bestätigt das Regierungspräsidium Gießen. Die Polizei wurde in der Nacht vom 2. auf 3. Juni gerufen - es gab eine Massenschlägerei. Der Hintergrund sei unklar geblieben, teilt das Polizeipräsidium Osthessen mit. Hamed F. berichtet, dass es damit anfing, dass drei bis vier Männer einen Mitbewohner mit einer Halskette mit Kreuz angingen, zu denen bald andere mit Schlaggegenständen dazustießen.

Angst um Wohlergehen 

Daraufhin befragte der Zentralrat der Orientalischen Christen in Deutschland im Auftrag von "Open Doors" und mit Zustimmung des Regierungspräsidiums vom 10. Juni bis 6. Juli die christlichen Flüchtlinge in der Einrichtung. Von den damals 622 Bewohnern waren nach Auskunft der Behörde 49 Christen. 32 von ihnen füllten einzeln einen mehrsprachigen Fragebogen aus. In den von "Open Doors" im Internet veröffentlichten Angaben äußern viele Befragte Angst um ihr Wohlergehen und sogar ihr Leben.

Am 10. Juli wurde wieder die Polizei gerufen. Christliche Bewohner fanden nach ihrer Rückkehr von einem Gottesdienst in ihrem unverschlossenen Zimmer ein Graffito an der Wand, wie das Polizeipräsidium mitteilt. Die arabischen Schriftzeichen besagten "Gott ist groß" und "Es ist Zeit zum Töten". Neben der Todesdrohung sei ein Kreuz durchgestrichen gewesen, berichten Hamed F. und Morteza G. Die Polizei sei erst beim zweiten Anruf gekommen und habe nur das Graffito fotografiert. Nach drei Wochen sei ein Polizist wiedergekommen und habe die Zimmerbewohner gefragt, ob sie die Schmiererei selbst angebracht hätten.

Zweifel am Bericht von Open Doors 

Nach diesem Vorfall ist nach Auskunft des Regierungspräsidiums den damals 49 christlichen Flüchtlingen die Unterbringung in einem getrennten Gebäudeteil angeboten worden. Mehr als die Hälfte von ihnen hätten von dem Angebot Gebrauch gemacht.

Die Kirchen reagierten zurückhaltend auf den Bericht. Bistümer, Landeskirchen und Hilfsorganisationen wie die Malteser und Johanniter recherchierten in Unterkünften und eigenen Einrichtungen. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, stellten in einer gemeinsamen Erklärung klar: "Eine flächendeckende und systematische Diskriminierung von Christen und anderen religiösen Minderheiten in Asylbewerberunterkünften ist nicht festzustellen." An der von "Open Doors" vorgelegten Erhebung bestünden erhebliche Zweifel.

Zugleich warnten Marx und Bedford-Strohm vor politischer Instrumentalisierung: Vorfälle dürften weder vertuscht noch aufgebauscht werden. Für manche seien negative Ereignisse in den Unterkünften ein willkommener Anlass, um Propaganda gegen muslimische Flüchtlinge und den Islam zu machen. Und: "Nicht jede Auseinandersetzung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit sollte als religiös motivierter Konflikt eingestuft werden."

Auch die evangelische Landeskirche und die Diakonie haben von den Vorwürfen der christlichen Flüchtlinge nichts erfahren und misstrauen dem Bericht von "Open Doors". Die Aussagen stammten durchgehend von Iranern und glichen sich stark, sagt die Dekanin Gisela Strohriegl. Ähnliche Zweifel hegt der Diakoniepfarrer der Kirchenkreise Hersfeld und Rotenburg, Jens Haupt. Die Aussagen würden wie abgesprochen klingen, sagt er. Außerdem spreche die Rückkehr einiger Flüchtlinge in das alte Wohngebäude wegen eines schlechten WLAN-Empfangs gegen eine schlimme Lage.

Maßnahmenkatalog zum Schutz von Flüchtlingen

Die Landesregierung jedoch hat aufgrund der Befragung in Rotenburg einen Maßnahmenkatalog zum Schutz von Flüchtlingen vor religiös motivierten Übergriffen erarbeitet. Dieser sieht unter anderem eine Sensibilisierung der Mitarbeiter und der Polizei vor und empfiehlt eine religiös gemischte Zusammenstellung von Wachpersonal und Dolmetschern.

Nach Angaben von "Open Doors" sind die Berichte aus Rotenburg keine Einzelfälle. Aus Flüchtlingsunterkünften in Hessen lägen Ende November 136 entsprechende Berichte vor, aus Rheinland-Pfalz 39. Im Oktober sprach die Organisation von bundesweit 743 Fällen von Diskriminierung, Bedrohung oder Gewalt gegen Christen und Jesiden.

Der ehemalige Rotenburg-Bewohner Hamed F. zeigt nicht mehr seine Kreuzkette. Er traue sich auch in seiner neuen Unterkunft nicht zu sagen, dass er Christ sei, sagt er. Morteza G. sagt ebenfalls, er habe weiterhin Angst. "Ich habe gedacht, Deutschland sei ein freies Land, wo man seinen Glauben frei leben kann", sagt er enttäuscht. Er versuche, die Wohnung ohne Not nicht zu verlassen und nachts nicht auf die Straße zu gehen.


Reinhard Kardinal Marx / © Markus Nowak (KNA)
Reinhard Kardinal Marx / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
epd , KNA