domradio.de: Was war die Grundlage ihrer Untersuchungen? Also, was genau haben Sie unter die Lupe genommen?
Prof. Dr. Alexander Filipovic (Medienethiker an der Hochschule für Philosophie München und Leiter des Zentrums für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft): Wir haben uns zunächst einmal mit einem Strategiepapier der AfD auseinandergesetzt. Ursprünglich handelte es sich dabei um ein AfD-internes Strategiepapier, was auf die Bundestagswahl vorbereiten sollte. Obwohl dieses Papier nie offiziell publiziert wurde, ist der größte Teil öffentlich bekannt. In diesem Strategiepapier stehen Hinweise, wie beispielsweise an welcher Stelle mit wem kommuniziert werden soll.
Darüber hinaus haben wir uns wissenschaftliche Literatur angeschaut, um beispielsweise den Populismus-Begriff kritisch zu rekonstruieren und herauszufinden, ob die AfD in einem zu kritisierenden Sinne populistisch ist. Des Weiteren haben wir uns Daten von Untersuchungen angeguckt, wie die Deutschen Facebook nutzen und ganz besonders, wie AfD-Anhänger Facebook nutzen. Wir haben untersucht, wir beispielsweise Filterbasen entstehen. Zu guter Letzt haben wir uns einzelne repräsentative Reden von AfD-Politikern angeschaut und analysiert.
domradio.de: Bleiben wir bei der Kommunikationsstrategie der AfD: Handelt es sich dabei um eine bewusst angelegte Strategie oder ergibt sie sich aus den politischen Inhalten?
Filipovic: Das ist gar nicht einfach zu sagen. Wenn man einen kritischen Begriff des Populismus entwirft, so beinhaltet dieser eigentlich immer einen antidemokratischen und antipluralistischen Populismus. Es vermischen sich ideologische und strategische Elemente. Diese auseinanderzuhalten ist gar nicht so einfach. Zum Beispiel werden Tabubrüche als strategische Kommunikation eingesetzt.
Festzuhalten ist, dass jede politische Partei, jede Organisation und auch jede zivilgesellschaftliche Organisation strategische Kommunikation einsetzt. Entscheidend ist, ob das verantwortlich geschieht. Verantwortlich in dem Sinne, dass es immer transparent bleibt, das man Interessenskommunikation betreibt und die Leute nicht überrennt und deren Autonomie ignoriert.
domradio.de: Sie attestieren der AfD eine "höhere Resonanz" bei Facebook als anderen Parteien. Was macht die AfD besser?
Filipovic: Der Zulauf der AfD und übrigens auch der Linken bei Facebook ist überproportional groß gegenüber den etablierten Parteien. Wenn ich AfD-Anhänger bin oder Anhänger der Partei "Die Linke", dann sehe ich, dass die politischen Perspektiven, die ich schätze, in den Medien nicht so vorkommen, wie ich denke, dass Sie vorkommen sollten. Und deswegen suche ich mir Quellen und Orte der Kommunikation, an denen es in Ordnung ist, diese Themen zu besprechen und zu diskutieren. Dafür bietet sich Facebook natürlich in grandioser Weise an.
Grund dafür ist, dass es auf Facebook Inseln der Kommunikation und der Information gibt, wo die Leute, die sich eher zu "extremen Parteien" hingezogen fühlen, genau ihre Themen und Meinungen finden. Der Effekt ist eine weitergebende Selbstabschottung, welche man als Echokammer beschreibt, und die dazu führt, dass man irgendwann anfängt nur noch mit sich selber zu kommunizieren.
domradio.de: Ist diese Art der Kommunikation neuartig?
Filipovic: Ich denke, eine gewisse Tendenz kann man bei Medien und öffentlicher Kommunikation immer in ähnlicher Form auch vorher schon entdecken. Es gibt im politischen Spektrum immer Parteien, die eine kleinere Gruppe von Menschen politisch repräsentiert und einfängt. Diese haben auch ihre speziellen Medien, ihre vornehmlichen Kommunikationswege.
Durch Viralität, durch die Klick-Ökonomie, durchs Liken und durch die unglaublich gute Zugänglichkeit dieser Leute kommt es, dass sich Menschen sehr viel schneller finden und viel aktiver sein können. Da ist ja ein einfaches "like" schon eine Aktion. Dadurch können die beschriebenen Inseln sehr aktiv werden bzw. eine sehr große publizistische Wirkung entfalten. Das alles mit der Unterstützug der sozialen Medien. Deshalb gibt es einige Perspektiven, die sagen, dass die sozialen Medien Populismus-affin sind. Allein dadurch wie sie funktionieren.
domradio.de: Um es einmal konkret zu machen: Wo lässt sich ein antidemokratisches, antielitäres Verhalten festmachen?
Filipovic: Nimmt man beispielsweise den berühmten Satz der Frau Weidel: "Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte", dann ist das, glaube ich, eine Strategie. Mit dem Vorwurf der politischen Korrektheit wird eine andere politische Meinung als meinungseinschränkend diffamiert. Wir haben uns so daran gewöhnt auch gegen die politische Korrektheit zu sein, weil sie uns eben den Mund verbietet. Aber eigentlich sind die aus liberaler Perspektive geschaffenen Sprachregeln dafür da, dass andere Menschen nicht diskriminiert werden. Das ist also der Versuch, Sprache so zu gebrauchen, dass man andere Menschen nicht damit diskriminiert. Wenn ich mich jetzt hinstelle und unter großem Gejohle und Beifall sage, "die politische Korrektheit gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte und wir allein hätten den Mut zur Wahrheit", dann ist das natürlich Strategie.
domradio.de: Wie verträgt sich diese Art der Kommunikation mit dem christlichen Menschenbild?
Filipovic: Da muss man immer ein bisschen aufpassen. Unsere Studie führt das sehr sorgfältig und sehr vorsichtig aus. Es gibt Punkte, bei denen man sagen muss, dass Sie sich tatsächlich nicht mit einem christlichen Menschenbild vertragen. Überall da, wo es um manipulatives Verhalten geht, wo also Strategien, wie zum Beispiel Tabubrüche genutzt werden, um Leute zu verwirren und Diskurse zu destabilisieren, da kann man natürlich sagen, dass entspricht nicht dem christlichen Menschenbild, was auf der Idee von Personenwürde, Autonomie und freier Meinungsbildung beruht. Es gibt aber andere Bereiche, wo es eben keine so klaren Kategorien gibt und darauf weisen wir hin.
Das ist, glaube ich, wichtig, weil diese Studie ja dabei helfen soll, dass sich Christen ein eigenes Urteil bilden können. Ein Urteil darüber, was die AfD für politische Positionen vertritt und wie die AfD politisch argumentiert. Deswegen sollte man die Studie auch nicht zu hoch setzen. Es ist keinesfalls so, dass man jetzt eine Studie hat, die besagt: Kein Christ kann AfD wählen. Nein, es ist eher eine argumentative Toolbox, für einen sorgfältigen Umgang mit diesem Thema und dieser Partei. Man kann sagen, es gehört zur Verantwortung eines jeden Christen, sich sorgfältig mit der AfD auseinanderzusetzen und einmal darüber nachzudenken, bevor man in diese Richtung wählt.
Das Gespräch führte Moritz Dege.