Medienethikerin ordnet rassistische Äußerung bei RTL ein

"Die Leute werden getriggert"

Nach einer rassistischen Äußerung gegenüber Kandidatin Linda Nobat hat Janina Youssefian das RTL-"Dschungelcamp" am Montag vorzeitig verlassen müssen. Ausgestrahlt wurden die Beleidigungen trotzdem. Ist das medienethisch vertretbar?

Das Dschungelcamp läuft auf dem Privatsender RTL / © Stefan Gregorowius (dpa)
Das Dschungelcamp läuft auf dem Privatsender RTL / © Stefan Gregorowius ( dpa )
Nach einer rassistischen Äußerung gegenüber Kandidatin Linda Nobat hat Janina Youssefian das RTL-Dschungelcamp vorzeitig verlassen müssen. / © Felix Hörhager (dpa)
Nach einer rassistischen Äußerung gegenüber Kandidatin Linda Nobat hat Janina Youssefian das RTL-Dschungelcamp vorzeitig verlassen müssen. / © Felix Hörhager ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Streit dieser Kandidatinnen wurde aufgezeichnet und erst nachträglich ausgestrahlt. War es aus Ihrer Sicht richtig, diese Szenen zu zeigen?

Claudia Paganini (Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München): Man könnte darauf verzichten, solche Szenen zu zeigen, wenn man Personen, die sich so äußern, nicht als Vorbilder inszenieren will. Es handelt sich um Mitschnitte. Darin, dass sie ausgestrahlt werden und die entsprechende Kandidatin aus der Show entfernt wird, sich öffentlich entschuldigen muss, sieht man die Ambivalenz hinter diesen Formaten. Einerseits provoziert man die Kandidaten geradezu in die Richtung, dass es eskaliert, dass es emotional und dramatisch wird und das Publikum mitgerissen wird. Andererseits versucht man groben Entgleisungen entgegenzuwirken und so nach außen zu zeigen, dass man das als Sender nicht gutheißt. Das ist sehr ambivalent.

Prof. Claudia Paganini

Einerseits provoziert man eine Eskalation, andererseits versucht man einen Image-Schaden abzuwenden.

Wenn es tatsächlich ein Anliegen wäre, dass solche Äußerungen nicht vorkommen, dann müssten die Formate anders angelegt sein. Es müssten vielleicht auch andere Kandidatinnen ausgewählt werden. Dann dürfte man die Szenen nicht zeigen. Aber die werden im Gegenteil gerade auch als Werbung für die nächste Folge genutzt oder als Cliffhanger eingespielt, damit man nach der Werbung dran bleibt. Die Leute werden getriggert. Es wird Spannung suggeriert. So richtig ehrlich ist das Interesse an einer gewaltfreien Kommunikation seitens der Sender da meist nicht.

DOMRADIO.DE: Bei der rassistischen Äußerung hat der Sender reagiert. Die anderen Äußerungen im Streit waren zwar nicht rassistisch, aber mindestens genauso beleidigend und menschenverachtend. Wäre es da nicht auch nötig, eine Entschuldigung zu verlangen und Konsequenzen zu ziehen?

Paganini: Das denke ich auf jeden Fall. Wenn es mir wirklich ein Anliegen wäre, dass man wertschätzend miteinander kommuniziert, dann dürfen Sanktionen nicht nur dann folgen, wenn rassistische Äußerungen fallen. Daran merkt man, meiner Meinung nach, einmal mehr, dass dieses Anliegen gar kein ernsthaftes ist. Es geht eben nur darum, nach außen einen Imageschaden abzuwenden.

Da gibt es natürlich gewisse Themen, die in jeder Gesellschaft sensibler sind. Das sind rassistische Äußerungen. Das ist in Deutschland die NS-Vergangenheit. Das sind in letzter Zeit aber auch verschwörungstheoretische Statements, wo Sender üblicherweise sehr scharf reagieren. Wie beispielsweise bei Michael Wendler, der letztes Jahr in den DSDS-Folgen schwarz ausgeblendet war, als er noch am Dreh war. Bei anderen unschönen Szenen hingegen erfolgen keine Reaktionen. Da wird das fast zelebriert, weil genau diese Szenen dann die Einschaltquoten in die Höhe gehen lassen.

Prof. Claudia Paganini

"Da wird das fast zelebriert, weil genau diese Szenen dann die Einschaltquoten in die Höhe gehen lassen."

DOMRADIO.DE: Einiges davon ist auch eine Art öffentliche Form von Mobbing, oder?

Paganini: Ja, auf jeden Fall, teilweise ganz extrem. Beim Sommerhaus im letzten Jahr beispielsweise war eine Kandidatin, die wirklich über viele Episoden hindurch gemobbt worden ist. Seitens des Senders kamen sehr lange keine Reaktionen. Erst nachdem dann immer mehr Protest hörbar wurde, habe man dann eingegriffen.

Es ist auch interessant, dass im Hintergrund oft Mechanismen von Schuld und Sühne ablaufen, die geradezu an alte Mythen und Märchen erinnern. Man lässt die Situation eine gewisse Zeit eskalieren, sodass klare Opfer- und Täterdynamiken entstehen. Wenn das Publikum seine Antipathien und Sympathien zugeschrieben hat, werden die Täter in die Situation gebracht, dass sie öffentlich Buße tun müssen und bereuen. Sie werden in diesen sogenannten "Reunions" häufig mit massiven Vorwürfen von den anderen Teilnehmern konfrontiert. Danach folgt idealerweise wieder eine Aussöhnung. Das Fernsehen hat da eine Art "läuternde" Funktion, über den Umweg der Eskalation. Was dabei aus ethischer Perspektive sehr bedenklich ist, ist, dass dabei echte Menschen und deren Leben instrumentalisiert werden.

Prof. Claudia Paganini

Was dabei aus ethischer Perspektive sehr bedenklich ist, ist dass dabei echte Menschen und deren Leben instrumentalisiert werden.

DOMRADIO.DE: Welches Menschenbild wird gerade auch den jungen Zuschauern vermittelt?

Paganini: Auf jeden Fall kein wertschätzender Umgang miteinander. Es ist ein sehr oberflächlicher, grober Ton, der angeschlagen wird. Aber diese Formate sind quasi ein Spiegel dessen, was auch sonst in der Gesellschaft vorkommt. Ich denke nicht, dass die Kommunikation in einer Gesellschaft im Großen und Ganzen sehr viel besser ist als in solchen Formaten, in denen es noch mal auf die Spitze getrieben wird. Die Frage von einer inklusiven, wertschätzenden Kommunikation geht in viele Lebensbereiche hinein. Aber da Fernsehen auch ein Stück weit Vorbildfunktion hat, sollte man aufpassen, dass gerade solche Exzesse nicht inszeniert und zelebriert werden.

DOMRADIO.DE: In den sozialen Medien nehmen Hasskommentare und Beleidigungen zu. Was sagt das über die Entwicklung unserer Gesellschaft aus?

Paganini: Ich bin immer vorsichtig von einer Entwicklung zu sprechen, weil man sehr schnell von seinen eigenen Eindrücken und Gefühlen geleitet wird. Als Wissenschaftler müssen wir uns natürlich auf Studien und empirische Daten berufen und wirklich vergleichen: War der Umgang miteinander in einer Zeit vor Social Media wirklich so viel gewaltfreier und wertschätzender? Ich bin da skeptisch. Was ich aber sehr wohl glaube ist, dass durch Social Media aggressive, brutale, herabwürdigende Äußerungen viel schneller multipliziert werden. Sie werden auch viel sichtbarer. Das ist der große Unterschied.

Prof. Claudia Paganini

In den sozialen Medien werden aggressive, brutale und herabwürdigende Äußerungen viel schneller multipliziert. 

Ich glaube nicht, dass die Kommunikation insgesamt schlechter geworden ist oder dass sie früher viel freundlicher oder gewaltfreier war. Ich denke aber auch, dass wir das Internet vielleicht noch zu wenig als gemeinsamen Ort begreifen, wo wir alle Verantwortung haben. Über die Zivilcourage im "echten Leben" kann man ja auch streiten. Aber ich denke, dass auf der offenen Straße vielleicht eher noch jemand einschreiten würde, wenn jemand beleidigt wird. Weil man unmittelbar begreift, dass das verletzend ist und es demjenigen jetzt nicht gut geht. Durch die Distanz im digitalen Kontext haben wir diese Empathie oft weniger. Daran muss man einfach arbeiten. 

DOMRADIO.DE: Im Netz sind es oft auch viel mehr Menschen, die auf jemanden "eindreschen". Im echten Leben würden die sich vielleicht gar nicht einmischen.

Paganini: Genau. Was eigentlich fast noch schlimmer ist, dass es letztlich keine Schutzräume gibt. Im echten Leben kann ich - wenn ich in der Klasse, in der Schule oder auf der Arbeit gemobbt werde - nach Hause gehen. Dann ist erstmal etwas Ruhe. Während im digitalen Kontext das Handy ständig an meiner Seite ist. Es ploppen immer wieder neue Postings oder Nachrichten auf, die immer wieder neu verletzend sind.

Ich kann mich eigentlich nur selbst komplett isolieren, wenn ich mich schützen will. Es kommt schon zu einer Endlos-Viktimisierung und da braucht es ganz dringend digitale Zivilcourage. Menschen, die sich bewusst dagegen stellen und mitten in so einem Shitstorm auch mal reinschreiben: "Jetzt hört auf, die Person ständig zu beleidigen und niederzumachen. Das ist nicht die Art, wie wir hier miteinander umgehen wollen" und so weiter. Aber dafür müssen wir auch das Gefühl haben, dass wir mitverantwortlich sind und nicht nur passive Zuschauer.

DOMRADIO.DE: Beleidigungen sind nicht immer so leicht erkennbar wie bei dem Beispiel aus dem Dschungelcamp. Worauf kann jeder im Umgang mit anderen achten?

Paganini: Ein guter Tipp ist immer der Perspektivenwechsel. Ich stelle mir vor: Wenn ich in der Situation wäre, wie würde ich das dann empfinden? Wie würde ich mich fühlen, wenn ich aufgrund von meinem Anderssein immer wieder daran erinnert werde? Und noch die ein oder andere Bezeichnung fällt?

Man kann auch mit den Betroffenen sprechen, wenn sich eine Möglichkeit ergibt, und fragen: Wie empfindest du diese oder jene Bezeichnung? Aber ich glaube, das Allerwichtigste ist, dass man im Hintergrund wirklich offene und authentische Wertschätzung gegenüber marginalisierten Gruppen hat.

Wenn man nur versucht, auf der Ebene der Sprache, korrekt zu sein, damit man sich selbst nicht ins Aus stellt, aber eine herabwürdigende Haltung im Hintergrund hat, dann wird es wahrscheinlich früher oder später sowieso sichtbar werden.

Das Interview führte Dagmar Peters. 

Aufgaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes arbeitet auf Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das AGG schützt vor Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, der sexuellen Identität, des Geschlechts, des Alters oder einer Behinderung. (Antidiskriminierungsstelle des Bundes)

Symbolbild gegen Diskriminierung / © fizkes (shutterstock)
Symbolbild gegen Diskriminierung / © fizkes ( shutterstock )
Quelle:
DR