Ein Jahr nach Verabschiedung des Migrationspakets

Mehr Herz oder mehr Härte?

Über die Neuordnung von Asyl- und Aufenthaltsrecht haben Union und SPD lange gerungen. Vor einem Jahr beschloss der Bundestag das Migrationspaket der Koalition. Was ist daraus geworden? Die Caritas ist jedenfalls enttäuscht.

Autor/in:
Alexander Riedel und Birgit Wilke
Asylsuchender in einem Ankerzentrum / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Asylsuchender in einem Ankerzentrum / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

Für den Deutschen Caritasverband fällt die Bilanz zu den Auswirkungen des vor einem Jahr verabschiedeten Migrationspaketes eindeutig negativ aus: Viele der enthaltenen Gesetze erschwerten die Situation für Flüchtlinge und Migranten.

Und die erwarteten Vorteile für Geflüchtete in Ausbildung oder Beschäftigung machten sich bislang kaum bemerkbar. Besonders schlecht schneidet aus Sicht der katholischen Caritas das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz ab: Die Situation für die Betroffenen werde immer schwieriger, ohne dass sich das in steigenden Abschiebezahlen niederschlage.

Viele Auswirkungen bislang kaum absehbar

Einige der Gesetze aus dem Paket traten bereits im vergangenen August in Kraft, andere Anfang des Jahres, das Einwanderungsgesetz für Fachkräfte erst im März - parallel zur Corona-Krise. Die Pandemie hatte auch auf die Maßnahmen einen starken Effekt: Sie brachte die erhoffte Zuwanderung von Fachkräften wie auch die Durchführung von Abschiebungen fast vollständig zum Erliegen. Viele Auswirkungen sind deshalb bislang kaum absehbar. Auch das Bundesinnenministerium hält sich mit einer Bilanz noch zurück.

Dabei hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) vor einem Jahr nachdrücklich für das Paket geworben. Im Bundestag sprach er von einer modernen Migrationspolitik, wie es sie in keinem anderen Land Europas gebe, und von einer Zäsur. Unerwähnt ließ er bei seiner Rede im Bundestag, dass das Maßnahmenbündel auch innerhalb der Regierungsfraktionen stark umstritten war.

Vielen SPD-Abgeordneten - den Grünen und Linken sowieso - war das "Geordnete-Rückkehr-Gesetz", von dem sich Seehofer höhere Abschiebezahlen versprach, ein Dorn im Auge. Kritiker sprachen von einem "Hau-Ab-Gesetz". Die heutige SPD-Vorsitzende Saskia Esken gab bei der Abstimmung im Bundestag am 7. Juni 2019 sogar zu Protokoll, wie viele andere auch eine "Verfassungswidrigkeit von Teilen des Migrationspakets zu erkennen". Sie lehnte das Abschiebe-Gesetz ab.

Gesenkt wurden damit unter anderem die Hürden für Ausreisegewahrsam und Sicherungshaft. Länder erhielten die Möglichkeit, ausreisepflichtige Asylbewerber in Justizvollzugsanstalten unterzubringen. Abgelehnte Asylbewerber, die an der Klärung ihrer Identität nicht mitwirken, können seitdem bestraft werden.

Entfristung der Wohnsitzauflage für Asylbewerber

Weitere Verschärfungen brachte die Entfristung der Wohnsitzauflage für Asylbewerber. 2016 war für anerkannte Geflüchtete die Pflicht eingeführt worden, drei Jahre in dem Bundesland bleiben zu müssen, in dem ihr Asylverfahren läuft - zunächst befristet bis August 2019. Mit dem Paket wurde die Auflage auf Dauer festgeschrieben. Zudem können die Länder einen Wohnsitz zuweisen oder den Zuzug in bestimmte Kommunen untersagen. Die Auflage, die eigentlich Integration fördern sollte, habe vielfach das Gegenteil bewirkt, mahnt die Caritas.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke kritisiert unter anderem die Verlängerung des verpflichtenden Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Diese dürfte mit dazu beigetragen haben, dass sich in den vergangenen Wochen so viele Geflüchtete in den beengten Massenunterkünften mit dem Coronavirus infiziert hätten, sagt sie.

Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner erklärt, ihre Befürchtungen zu den Auswirkungen des Pakets hätten sich bestätigt: "Wir sehen vor Ort zum Beispiel, wie es viele zur Verzweiflung bringt, deren Herkunftsländer die betroffenen Personen schikanieren, weil sie bei der Erneuerung oder Beschaffung von Passpapieren nicht kooperieren."

Bei der Verabschiedung des Migrationspakets im Bundesrat erklärte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) Ende Juni 2019, damit würden "Herz und Härte" Gesetz. Was davon in der Praxis überwiegt, lässt sich ein Jahr später - vor allem wegen der Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen auf jegliche Migration - wohl noch nicht abschließend sagen. Die Kritiker sind jedenfalls weiterhin wenig überzeugt.


Quelle:
KNA