Im Streit um die berühmte Hagia Sophia in Istanbul suchen etliche Politiker und Religionsvertreter keineswegs mehr eine einvernehmliche Lösung - oder halten sie für aussichtslos. Der Konflikt um die beschlossene Rückumwandlung des byzantinischen Kuppelbaus in eine Moschee schlägt international hohe Wellen.
Die internationale Kritik:
Der Chef der rechtspopulistischen italienischen Oppositionspartei Lega, Matteo Salvini, zum Beispiel zog am Montag mit Dutzenden seiner Anhänger vor das türkische Konsulat in Mailand und forderte: "Hände Weg von der Hagia Sophia!" In Griechenland riefen radikale Wortführer zum Boykott türkischer Waren auf. Und vor dem Istanbuler Sakralbau ließen begeisterte Muslime Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hochleben, als habe er die Eroberung der Bosporusmetropole durch die Osmanen 1453 wiederholt.
Sowohl für Christen als auch für viele Muslime ist die Hagia Sophia ein wichtiges Symbol - was den Kampf um die einstige Reichskirche des griechisch-orthodoxen Kaiserreichs Byzanz umso brisanter macht. Für orthodoxe Christen hat das imposante Bauwerk eine ähnliche Bedeutung wie der Petersdom für die Katholiken. Nach der Weihe der Hagia Sophia 537 war sie mehr als acht Jahrhunderte Sitz des Patriarchats von Konstantinopel und wird noch heute in dessen Titulatur geführt, obwohl die Osmanen das imposante Bauwerk nach der Einnahme der Stadt 1453 zur Moschee umbauten. Der Gründer der türkischen Republik, Mustaf Kemal ("Atatürk"), verwandelte das Gotteshaus 1934 in ein säkulares Museum.
Hagia Sophia ab dem 24. Juli wieder Moschee
Nach dem entsprechenden Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts soll die Hagia Sophia bereits ab 24. Juli wieder als Moschee genutzt werden - so hat es Erdogan angekündigt. Scharfe öffentliche Proteste aus dem Ausland gegen die Umwidmung scheinen ihm nur in die Hände zu spielen. Der islamisch-konservative Präsident kann sich so leichter als starker Mann inszenieren und trotz hoher Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise verlorene Sympathisanten zurückgewinnen.
Vorsichtig agiert in der Auseinandersetzung das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christen, der Ökumenische Bartholomaios I. von Konstantinopel. Er schweigt bisher zur Aufhebung des Museumsstatus durch das Gericht und zu Erdogans Verfügung. Ende Juni hatte der Patriarch für das Fortbestehen der einst größten Kirche der Christenheit als "Museum für alle" plädiert und vor einer Umwandlung in eine Moschee gewarnt. Die Hagia Sophia sei eines der bedeutendsten Baudenkmäler der menschlichen Zivilisation und gehöre nicht bloß ihren unmittelbaren Eignern, sondern "der gesamten Menschheit".
Besondere Bedeutung für die orthodoxen Kirchen
Nun erhält Bartholomaios I. im Ringen um die Hagia Sophia so viel Unterstützung wie lange nicht mehr. Auch die russisch-orthodoxe Kirche, mit deutlich mehr als 100 Millionen Gläubigen die größte Teilkirche, gibt in der Frage volle Rückendeckung, obwohl sie im Herbst 2018 wegen eines heftigen Streits um die Ukraine mit ihm brach. Sie widerrief sogar die Kirchengemeinschaft mit Konstantinopel und verbot ihren Mitgliedern somit, Gottesdienste des Ökumenischen Patriarchats zu besuchen.
Aber jetzt kämpfen alle orthodoxen Kirchen gemeinsam gegen eine Nutzung der Hagia Sophia als Moschee. "Eine Bedrohung der Hagia Sophia ist eine Bedrohung für die gesamte christliche Zivilisation, also für unsere Spiritualität und Geschichte", betonte der Moskauer Patriarch Kyrill I. Anfang Juli. Der Kreml äußerte sich dagegen diplomatischer. Es handele sich um eine innere Angelegenheit der Türkei. Staatspräsident Wladimir Putin machte die Hagia Sophia am Montag in einem Telefonat mit Erdogan dennoch zum Thema und wies "auf den beträchtlichen öffentlichen Aufschrei in Russland über die Entscheidung" hin, wie der Kreml mitteilte. Erdogan habe darauf versichert, dass weiter alle den Sakralbau besuchen könnten und die "Sicherheit der den Christen heiligen Gegenstände gewährleistet" sei.
Wie geht es weiter?
Mit Spannung wird erwartet, wie die türkische Regierung mit den einzigartigen Mosaiken und Fresken in der Hagia Sophia umgeht. Der Islam verbietet im Gegensatz zum Christentum solche Bildnisse. Bei der ersten Umgestaltung in eine Moschee 1453 wurden griechisch-orthodoxe Ikonen mit Gips verputzt. Nun sollen sie offenbar durch Lichteffekte oder durch Gardinen verdeckt werden. Auch eine Ausstellung von Kunstwerken an anderer Stelle ist im Gespräch. Erdogan gab derweil laut Medienberichten bereits im Juni eigens die Anfertigung eines 14.000 Quadratmeter großen Teppichs in Auftrag und bezahlte ihn dem Vernehmen nach selber. Auf ihm sollen demnächst Muslime fünfmal am Tag zu Gebeten niederknien.
Die Regierung und die Opposition in Griechenland überbieten sich unterdessen gegenseitig, wer lauter gegen die Umwandlung der Hagia Sophia protestiert. Schlichte Parteitaktik, um Zustimmung zu gewinnen, mutmaßen kritische Beobachter. Auch in anderen Ländern wird der Streit um das berühmte Baudenkmal hoch gefahren. Der Konflikt dreht sich offenkundig mehr um Politik als um Religion. Derweil sieht es inzwischen ganz danach aus, dass die Würfel am Bosporus gefallen sind.