Mino kann es immer noch nicht fassen. "Gestern noch haben wir den Papst auf dem Petersplatz gesehen. Er ist unmittelbar an uns vorbeigefahren, wir konnten ihm direkt in die Augen schauen. Und dann heute die Nachricht, dass er tot ist. Das ist der Wahnsinn!" Unmittelbar vom Flughafen ist er mit seiner Mutter Nicole Reuter am Montagnachmittag in den Kölner Dom gekommen, um für den Verstorbenen eine Kerze anzuzünden und den Papst mit einem schriftlichen Gruß zu würdigen.
Hier, an der Schmuckmadonna, wo die Menschen an dem schlichten Schwarz-Weiß-Porträt von Papst Franziskus vorbeidefilieren, einen Moment lang innehalten, sich bekreuzigen oder auch stumm umarmen. Viele halten diesen Moment mit einem hochgehaltenen Handy fest und werden diese Momentaufnahme später von Kölns Kathedrale aus in alle Ecken der Erde versenden.
Zum 18. Geburtstag hatte sich Mino diese Romreise über die Osterfeiertage gewünscht. Nun gehört er zu denen, die den Heiligen Vater wenige Stunden vor seinem Tod noch live erlebt haben, was den jungen Mann aus Selm sichtlich bewegt. "Er konnte nicht mehr deutlich sprechen. Es war unüberhörbar, welche Mühe ihn die wenigen Worte beim Segen 'Urbi et orbi' kosteten, wie angestrengt er war." Trotzdem habe in dem Moment doch niemand damit gerechnet, dass es so schnell gehen, nicht einmal mehr 24 Stunden dauern würde.
"Die traurige Nachricht von seinem Tod erreichte uns dann kurz vor Antritt des Rückflugs, auf dem Weg zum Flughafen", berichtet Nicole Reuter. "Jetzt sind wir froh, dass wir ihn noch erlebt haben, bei seinem letzten öffentlichen Auftritt noch mit dabei waren." Man habe Franziskus ansehen können, dass er Ostern noch feiern und die vielen, vielen Menschen auf dem Platz nicht habe enttäuschen wollen. "Vielleicht hat er ja darum gekämpft, diesen Tag noch zu überstehen", mutmaßt sie. "Jedenfalls haben wir ihn auf seinem letzten Weg begleitet. Das behalten wir für immer im Herzen."
Dankbarkeit für dieses Pontifikat führt Gabriele Meurer und Hans-Dieter Lingenberg an diesem Nachmittag in den Dom. "Wir haben den Papst sehr geschätzt. Er hat manches angestoßen", würdigt ihn das Paar aus Brühl. Ohnehin habe an diesem Tag für sie die Abendmesse im Dom auf dem Programm gestanden. Nun seien sie extra früher gekommen, um sich mit Ruhe in das Kondolenzbuch einzutragen und ihr Mitgefühl zu zeigen, "weil es uns ein Anliegen ist, Franziskus auf diese Weise zu ehren", erklärt Meurer.
Sie werte es als Fingerzeig Gottes, dass dieser ihn gerade am Ostermontag zu sich geholt habe. Der Papst habe die Menschen noch segnen und sich auf diese Weise verabschieden wollen. Da ist sich die Mittsiebzigerin sicher. "Für ihn ist das bestimmt ein Glück, jetzt die Erdenschwere hinter sich gelassen zu haben." Und sie fügt noch hinzu: "Was er gelebt hat, war authentisch: Liebe und Barmherzigkeit." Vor allem habe er für den Frieden in der Welt gekämpft.
Franziskus, ein typischer Pfarrer
"Auch ein Papst braucht das Gebet. Deshalb bin ich hier. Ich habe das Bedürfnis, eine Kerze für den Verstorbenen anzuzünden", sagt Michael Strucken, der am Vormittag durch das Glockengeläut in der Innenstadt auf den Tod des Papstes aufmerksam geworden ist. "Mir ging gleich durch den Kopf, dass es das ja eigentlich nur bei besonderen Anlässen oder eben dem Tod eines Prominenten gibt und habe daraufhin auf meinem Handy nachgeschaut." In den letzten Wochen habe er mit großer Anteilnahme die zunehmende Gebrechlichkeit von Franziskus verfolgt und geahnt, dass sich dieser seiner letzten Wochen und Tage sehr bewusst gewesen sei.
Sein Eintrag ins Kondolenzbuch richtet sich an den Verstorbenen direkt: "Heiliger Vater, Du bist jetzt im Himmel. Ich danke Dir für Deinen Dienst und Dein Vorbild. Mögen Dich alle himmlischen Mächte mit offenen Armen empfange. Amen." Ein typischer Pfarrer sei Franziskus gewesen, findet Strucken, der vor Jahren in der Entwicklungshilfe tätig war und dienstlich auch in Buenos Aires gearbeitet hat. "Er teilte in den dortigen Elendsvierteln das Leben der einfachsten und bedürftigsten Menschen. Diese Nahbarkeit machte ihn besonders sympathisch."
Menschentrauben an den Kerzenständern
Jeder trägt seine eigene kleine Geschichte mit dem Menschen und Kirchenoberhaupt Jorge Mario Bergoglio im Herzen und lässt sich von seinem dann doch unerwarteten Tod anrühren. Während sich immer wieder neue Menschentrauben an den Kerzenständern bilden, manche schweigend im Gebet verharren oder mit Tränen in den Augen das Bild des Verstorbenen betrachten, kommen die Domschweizer kaum hinterher, die inzwischen tausenden abgebrannten Kerzen wegzuräumen und neue nachzuliefern. Auch wenn die Personalpräsenz an diesem besonderen Tag deutlich erhöht scheint.
Zu Ostern ist Köln voller Touristen und der Dom nun mal Attraktion Nummer eins. So ziehen die üblichen Besucherströme durch Haupt- und Seitenschiffe. Business as usual, könnte man meinen. Und doch bleibt trotz dieser allgegenwärtigen Betriebsamkeit für Katholiken die Welt in diesen Stunden der ersten Betroffenheit zunächst einmal stehen. Sie halten inne und gedenken eines Brückenbauers, der die Macht der Kirche in dem Auftrag zu dienen gesehen hat, der vor dem Hintergrund eines solchen Selbstverständnisses seine Spuren auf dem Erdenrund hinterlassen hat und dessen Tod selbst Andersgläubige – auch davon gibt es augenscheinlich viele vor dem Gnadenbild der Muttergottes in diesen Nachmittagsstunden – nachdenklich stimmt in einer von Krisen geprägten Zeit.
Das belegen auch die vielen unterschiedlichen Sprachen, in denen die Kondolenzblätter beschrieben sind. Da gibt es Einträge in kyrillischer oder arabischer Schrift genauso wie Kommentare auf Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Polnisch und natürlich Deutsch. Manches in gut lesbarer Kinderschrift, anderes kaum entzifferbar und oft nur mit dem Vornamen unterzeichnet. Es ist eine Mischung aus ehrfurchtsvollem Gedenken, Würdigung, Beileidsbekundung und dem Bedürfnis, auch eigene Worte für einen charismatischen Kirchenführer zu finden, der sich das Programm des Bettelmönchen aus Assisi zum Vorbild genommen hat, der die Würde eines jeden Menschen in den Mittelpunkt stellte und der als Mahner der Weltgemeinschaft auftrat, indem er dieser Kirche vor allem Glaubwürdigkeit, Solidarität mit den Schwachen und seelsorgliche Zugewandtheit verordnen wollte. "Ein Mensch, der eine Mission hatte und die Welt zum Besseren verändert hat", fasst es ein Eintrag zusammen. "Wir trauern, aber deine Güte bleibt auf ewig in unseren Herzen" ein anderer. "Danke für alles, Heiliger Vater!", steht da genauso zu lesen wie: "Ein guter Papst hat uns verlassen." Oder: "Du hast lange gelitten, jetzt bist Du erlöst. Ruhe in Frieden."
Gehandelt, wie es in der Bibel steht
Manche, die vor dem Lichtermeer zunächst andächtig stehen bleiben, erzählen sich beim Rausgehen gegenseitig Begebenheiten von vergangenen Romreisen, teilen Erinnerungen an "persönliche" Begegnungen bei Audienzen, Gottesdiensten oder dem öffentlichen Angelus-Gebet auf dem Petersplatz in den letzten zwölf Jahren.
Die Anteilnahme ist groß, die Stimmung gedrückt. Jemand, der eine Kerze anzündet, sagt zu seinem Nachbarn: "Dieser Papst stand auf der richtigen Seite. Endlich hat sich mal einer von dem ganzen Pomp losgesagt, sich selbst nicht zum Nabel der Welt erklärt. Mit dieser Haltung war er einer von den ganz Großen. An ihm wird jeder Nachfolger Maß nehmen müssen."
Ein Vater erklärt seinem halbwüchsigen Sohn: "Franziskus hat nicht nur gepredigt, sondern gehandelt, wie es in der Bibel steht. Das macht ihn so bedeutsam für uns. Denn von solchen Menschen müsste es mehr in unserer Kirche geben." Und ein Beter, der schon eine ganze Weile mit geschlossenen Augen in der Bank sitzt und einen Rosenkranz in den Händen hält, flüstert kaum merklich: "Mach et joot, Franziskus!"