DOMRADIO.DE: Was geht in Ihnen vor, nachdem Sie erfahren haben, dass Papst Franziskus gestorben ist?
Pfarrer Regamy Thillainathan (Regens und Direktor des Erzbischöflichen Priesterseminars Köln): Als ich die Nachricht gehört habe, war ich wirklich überrascht. Ich hatte mir das Video von seinem letzten öffentlichen Auftritt angeschaut und da mir schon gedacht, dass er schlecht aussieht. In mir ist ein Gefühl des Mitleidens aufgekommen. Gleichzeitig fand ich es wunderbar, dass er sich wieder gefangen hatte. Daher kam die Nachricht für mich total überraschend und schockierend.
DOMRADIO.DE: Sie hatten eine besondere Verbindung zu Franziskus. Stimmt es, dass er sie sogar einmal auf dem Handy angerufen hat?

Thillainathan: Richtig. Papst Franziskus ist der Papst, der mein Leben geprägt hat. Ich bin als Kind und als Jugendlicher mit Papst Johannes Paul II. aufgewachsen. Papst Benedikt ist für mich eng mit dem Weltjugendtag verbunden, der hier in Köln stattgefunden hat. Damals war ich noch Seminarist. Daher habe ich im Laufe meiner Dienstjahre ganz bewusst Papst Franziskus als den Bischof von Rom wahrgenommen und kennengelernt.
2018 bin ich ihm zum ersten Mal begegnet. Damals hatte ich eine Privataudienz bei ihm und war zur Heiligen Messe in seiner Kapelle. Danach gab es die Möglichkeit mit ihm zusammenzukommen. Damals ist er der rogamus-Gebetsgemeinschaft beigetreten, die ich dort vorgestellt habe. 2020 - während der Corona-Monate - habe ich einen Flug in Rom verpasst und hatte dann recht spontan die Möglichkeit, am Abend die Heilige Messe mit Franziskus zu feiern. Damals gab es verschiedene Themen, die bei mir und im Erzbistum Köln eine Rolle gespielt haben, vor allem was die Priester-Ausbildung. Dazu habe ich ihm ein paar Zeilen handschriftlich verfasst und ihm am Abend diesen Brief gegeben. Wenn ich Glück habe, kriege ich eine schriftliche Antwort.
Das war am 2. November 2020. Drei Tage später, als ich schon wieder in Deutschland war, saß ich in einer Zoom-Konferenz und mein Handy klingelte. Ein Anonymer Anrufer stand auf dem Display. Ich bin zunächst nicht dran gegangen, aber dann kam ein zweiter Anruf. Da dachte ich, dass es vielleicht meine Mutter sei oder, dass wenn jemand zwei Mal anruft, es dringend sein könnte. Ich bin ran gegangen und dann war Papst Franziskus am Hörer.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie miteinander geredet?
Thillainathan: Wir haben uns über den Brief unterhalten. Das war für mich mehr oder weniger die Sicherheit, dass es wirklich Papst Franziskus war und ich keinen Scherzanruf bekommen habe, weil eben keiner den Brief kannte, den ich geschrieben hatte. Er ging auf den Brief ein, auf die Fragen und Themen darin ein und hat Punkte geschärft und auch einige Fragen beantwortet.
DOMRADIO.DE: Es ging dabei wahrscheinlich um das Thema Berufung. Das war dem Papst besonders wichtig. Welche Rolle hat das für ihn gespielt?
Thillainathan: Für ihn war es immer entscheidend - gerade den jungen Priestern - dass wir alle Diener sind und das Dienen in den Mittelpunkt zu stellen. Er hat immer wieder betont, dass wir ohne die Liebe zu den Armen, die Liebe zur Eucharistie nicht leben können. Er war auch ein erklärter Feind von solchen Entwicklungen wie Klerikalismus. Das war zeitlebens sein Thema. Während seiner Jahre als Papst hat er dieses Thema in allen möglichen Situationen betont.
Bei mir ging es um die Frage, wie wir sicherstellen können, dass sowohl die Anforderungen aus Rom, als auch die Ideen, die wir hier in Köln haben, miteinander in Verbindung gebracht werden können. Seine Botschaft war, dass wir Mut haben sollen, etwas Neues auszuprobieren. Das war für mich eine tatsächliche Ermutigung. Manchmal probiert man Dinge nicht aus, weil man die Sorge hat, dass es falsch sein könnte oder man zurückgepfiffen wird. Seine Haltung war immer Dinge auszuprobieren. Seine Grundüberzeugung war, dass das, was gut ist nur vom Heiligen Geist sein kann. Was nicht vom Heiligem Geist ist, wird sowieso nicht wachsen.
Woran ich mich am meisten bei diesen drei, vier persönlichen Begegnungen mit Franziskus erinnern kann, war, dass er immer ehrlich und aufrichtig um mein Gebet für ihn gebeten hat.
DOMRADIO.DE: Schwerpunkt für den Papst war die Neuevangelisierung. Was war ihm dabei wichtig?
Thillainathan: Ihm war immer wichtig, dass Evangelisierung nicht bedeutet, neue Projekte und neue Konzeptionen zu entwerfen, sondern dass Evangelisierung nur dort Frucht bringt, wo Menschen ihre Haltung verändern. Bezogen auf die Priesterausbildung sagte er, die Priesterkandidaten müssten mit den Menschen leben, damit sie entdecken, welche Themen den Menschen wichtig sind. Dann kann man in diesen Themen, in diesen Fragestellungen das Wort Gottes entdecken und verkünden. Deswegen ist seine Einladung zur Evangelisierung eigentlich die Grundlage unseres Glaubens: Mit den Menschen gemeinsam unterwegs sein, ihre Sorgen, Nöte, Träume und Sehnsüchte wahrnehmen und dort das Evangelium platzieren.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat Sie ermutigt, etwas Neues auszuprobieren, mutig zu sein. Sie sind Regens des Priesterseminars in Köln - haben Sie das auch gemacht?
Thillainathan: Wir haben das erste Jahr der Vorbereitung, das Propädeutikum (Einführung in das geistliche Leben und die Liturgie der Kirche zu Beginn der Priesterausbildung, Anm. d. Red.) komplett umgestellt. Darin geht es nicht um das Studium, sondern um die Erfahrung des Dienens. Unsere Kandidaten sind im ersten Jahr in verschiedenen Einrichtungen als dienende Menschen unterwegs. Dort sollen sie den Glauben, die Nöte und Sorgen der Menschen kennenlernen. Im zweiten Studienjahr - und damit haben wir die Ermutigung von Papst Franziskus, etwas Neues auszuprobieren, umgesetzt - leben unsere Kandidaten in Wohngemeinschaften in den Pfarreien und nicht mehr im Priesterseminar. Sie leben dann für zwei bis drei Jahre in Wohngemeinschaft und teilen das Leben der anderen. Wenn sie dann - auch durch unsere Begleitung, erfahren, dass Gott sie zu einem besonderen Dienst als Priester ruft, kehren sie für die restliche Ausbildung in das Seminar zurück. Wir stellen fest, dass dieses Vorgehen tatsächlich Perspektiven ändert.
Das Interview führte Johannes Schröer.