Der Papst ist bekannt dafür, dass ihm diejenigen, die am Rande der Gesellschaften leben, wichtig sind. Das spiegelt sich auch in seiner Reise nach Chile wieder. Diejenigen, die es im Süden von Chile und Argentinien schwer haben, das sind die Ureinwohner, genannt Mapuche. Sie kämpfen seit der Kolonialzeit um das Land, das sie einst bewohnten. Kolonien verdrängten die Menschen. Noch heute halten die Auseinandersetzungen um die Territorien der Mapuche an, wobei sich die Fronten zwischen Regierung und dem indigenen Volk weiter verhärtet haben. Im Laufe der Zeit wurde ihr Territorium immer wieder verkleinert, sie wurden zurückgedrängt.
Ein besonderer Einschnitt war die Enteignung der Mapuche unter der Militärdiktatur von General Augusto José Ramon Pinochet Ugarte von den 1970ern bis in die 1990er Jahre. Er verteilte das enteignete Land unter Großgrundbesitzern und großen Konzernen. Bis heute wurden sie dafür nicht entschädigt. Doch sie fordern ihr Land zurück. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist eine Menschenrechtsorganisation für verfolgte ethnische und religiöse Minderheiten und kennt die Konflikte, denen sich der Papst jetzt auf der Reise nach Chile stellen will.
DOMRADIO.DE: Zuletzt gab es in Chile immer wieder Brandanschläge auf kirchliche Einrichtungen, zu der sich radikale Angehörige der Minderheit der Mapuche bekannten. Sind die Attentate der Mapuche eine kleine laute Minderheit oder gibt es tatsächlich einen Konflikt zwischen den Mapuche und der Kirche?
Ulrich Delius (Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker): Ich denke, die meisten Mapuche begrüßen, dass der Papst ihre Region besucht. Sie stehen ihm offen gegenüber und hoffen und erwarten, dass er mit seinem Besuch auf ihre schlechte Situation aufmerksam macht, die seit vielen Jahren schon sehr schwierig ist. Und sie wünschen sich von ihm, dass er vermittelt.
DOMRADIO.DE: Das heißt, die Mapuche versuchen vieles auf friedlichem Wege und die Attentate sind Außnahmen?
Delius: Unsere Beobachtung ist: Die Gewalttaten gehen von einer kleinen Minderheit aus. Wir sind auch davon überzeugt, dass viel von der Gewalt, die dann letztlich den Mapuche zugeschrieben wird, gar nicht von Mapuche selber verübt wird. Es gibt viele, die ein Interesse daran haben, da Spannungen zu säen.
DOMRADIO.DE: Es gibt viele Auseinandersetzungen um Landrechte, die Verhaftungen und Prozesse gegen Mapuche nach sich ziehen. Welches Problem hat der Staat mit der Volksgruppe?
Delius: Na ja, es geht letztlich um viel Geld. Es geht um Land, es geht um Eigentum, man möchte den Mapuche nicht das Land zurückgeben, das man ihnen zwangsmäßig genommen hat.
DOMRADIO.DE: Warum nicht?
Delius: Das enteignete Mapuche-Land nutzen heute Forstunternehmen, Großbauern und andere Grundbesitzer. Das ist natürlich für die ein Wirtschaftsfaktor.
DOMRADIO.DE: Warum ist es so schwer für die Mapuche, das Land zurückzubekommen. Die Rechte müssten doch auf deren Seite stehen?
Delius: Es ist besonders schwer für die Mapuche vor Gericht das Land zurück zu erklagen. Insbesondere durch das Antiterrorgesetz wird das Grundrecht auf Gleichbehandlung vor Gericht verletzt. Dieses Gesetz stammt aus der Zeit der Diktatur und wird heute nur noch gegen Mapuche genutzt.
DOMRADIO.DE: Wie das?
Delius: Es ermöglicht unter anderem eine sehr lange Untersuchungshaft ohne Anklageerhebung und lässt anonyme Zeugenaussagen zu, die von der Verteidigung nicht überprüft werden können. Anwälte von Mapuche berichten auch, dass ihre Arbeit behindert werde.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist das Gesetz aus eine anderen Zeit. Sebastián Piñera hat im Dezember die Präsidentschaftswahl in Chile gewonnen. Könnte das etwas ändern?
Delius: Mit Piñera haben wir in Zukunft wieder einen konservativen Präsidenten. Mit allen konservativen Präsidenten dieses Landes haben die Mapuche keine guten Erfahrungen gemacht. Sie standen letztlich den Großgrundbesitzern sehr nahe.
DOMRADIO.DE: Es gibt Mapuche, die sehen die katholische Kirche als Feindin und werfen ihr vor, sie als Volk gemeinsam mit dem Staat zu unterdrücken. Ist da etwas dran an den Vorwürfen?
Delius: Das ist natürlich eine ganz schwierige Situation, in der sich die Mapuche seit vielen Jahrzehnten befinden. Sie haben ihr Land vollkommen verloren, und damit geht das Gefühl einher, entrichtet zu sein, eigentlich nicht als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt zu sein - erst Recht nicht mit ihren eigenen Rechten als indigene Bewohner des Landes. Da wird schnell die Kirche mit anderen Akteuren verglichen. Dadurch haben sie den Eindruck, dass die Kirche letztlich doch dem Staate näher steht und der Mehrheitsbevölkerung, die eigentlich von dem Dialog mit den Mapuche nichts wissen will.
DOMRADIO.DE: Schon 1987 war Papst Johannes Paul II. nach Temuco gekommen und hatte um Vergebung für das Unrecht an den Mapuche gebeten - was kann Papst Franziskus jetzt tun, um die Lage zu entspannen?
Delius: Das ist natürlich ein kurzer Besuch. Und das Thema ist sehr komplex und erstreckt sich über mehrere Jahrhunderte. Da ist es sehr schwer, dass er überhaupt etwas bewirken kann. Aber alleine sein Besuch sorgt schon dafür, dass diese dramatische Situation der Mapuche einer breiteren Öffentlichkeit, nicht nur in Chile - auch weit über Amerika hinaus - bekannter wird. Das ist schon ein Riesenerfolg.
Das Interview führte Hilde Regeniter.