Menschenrechtler warnen vor Völkermord in Syrien

"Auslöschung der alawitischen Gemeinschaft"

Hunderte, vielleicht sogar Tausende Alawiten sollen in Syrien von Islamisten ermordet worden sein. Die Gesellschaft für bedrohte Völker befürchtet einen Genozid. Die Regierung in Damaskus verspricht eine "Rückkehr zur Normalität".

Kommandant al-Jabar spricht zu Alawiten im Umland von Homs / © Rena Netjes (privat)
Kommandant al-Jabar spricht zu Alawiten im Umland von Homs / © Rena Netjes ( privat )

Angesichts der Massenverbrechen militanter Islamisten an Angehörigen der alawitischen Minderheit in Syrien sieht die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) Hinweise auf einen Völkermord. "Die Bundesregierung muss sich sofort für eine mit internationalen Experten für Genozidverbrechen besetzte Untersuchungskommission auf UN-Ebene einsetzen, da wir der syrischen Untersuchungskommission nicht vertrauen können"», forderte die Organisation am Montag in Göttingen.

Unter dem Vorwand, Anhänger des alten Assad-Regimes zu verhaften, nähmen die islamistischen Machthaber gezielt Mitglieder der alawitischen Minderheit fest und exekutierten sie öffentlich. "Vor allem Frauen und Kinder sind Opfer dieser Hinrichtungen. Das Ziel dieser Angriffe ist die Auslöschung der alawitischen Gemeinschaft", so GfbV-Nahostreferent Kamal Sido.

"Ganze Familien ausgelöscht"

Die in Großbritannien ansässige GfbV-Partnerorganisation Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte spricht inzwischen von mehr als 1.400 Toten an der syrischen Mittelmeerküste. Demnach wurden seit dem 6. März mindestens 973 Zivilisten, meist Alawiten, getötet. Andere Quellen berichten von mehreren Tausend Todesopfern. "Mich erreichen verzweifelte Anrufe von Alawiten aus Syrien, die berichten, dass ganze Familien ausgelöscht wurden", sagte Sido. Videos in Sozialen Medien zeigen Ansammlungen von Leichen und brutale Gewalt durch offenkundig islamistische Kämpfer gegen Zivilisten bis hin zu Erschießungen.

Bei den Tätern soll es sich vor allem um ausländische Dschihadisten aus den Reihen der sunnitischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) handeln. Deren Kämpfer hatten im Dezember den syrischen Diktator Baschar al-Assad vertrieben und die Macht übernommen. Assad und ein Großteil der gestürzten Herrschaftselite entstammen wie viele Opfer der derzeitigen Gewaltwelle der religiösen Minderheit der Alawiten, einer Sekte mit Bezügen zum schiitischen Islam.

Regierung macht Gegner verantwortlich

Von der Übergangsregierung in Damaskus hieß es am Wochenende, bewaffnete Anhänger Assads hätten am Donnerstag in der Küstenprovinz Latakia eine koordinierte Militäraktion gegen die Sicherheitskräfte gestartet, woraufhin letztere am Freitag größere Truppenkontingente mit Artilleriegeschützen, Panzer und Raketenwerfern dorthin verlegt hätten. Beobachtern zufolge sollen dann von diesen Kräften Massaker an Zivilisten verübt worden sein.

Unterdessen erklärte das syrische Verteidigungsministerium die Kämpfe mit Anhängern des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad für beendet. "Wir ebnen den Weg für die Rückkehr zur Normalität und für die Konsolidierung von Sicherheit und Stabilität", teilte Ministeriumssprecher Abdul Ghany am Montag auf X mit.

UN-Kommission fordert für Syrien dringend einen Waffenstillstand

Syrien wurde laut einer UN-Kommission wegen des Bürgerkriegs und des Gaza-Konflikts von einer Welle der Gewalt überrollt. "Seit Oktober ist es in Syrien zur größten Eskalation der Kämpfe seit vier Jahren gekommen", sagte Paulo Pinheiro, Vorsitzender der Syrien-Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates in Genf Mitte März. "Auch Syrien braucht dringend einen Waffenstillstand", forderte er vor dem Hintergrund der Verhandlungen über eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas.

Syrien, Al Atarib: Ein Junge sitzt in der Nähe seines zerstörten Hauses, das durch das Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze zerstört wurde. / © Anas Alkharboutli (dpa)
Syrien, Al Atarib: Ein Junge sitzt in der Nähe seines zerstörten Hauses, das durch das Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze zerstört wurde. / © Anas Alkharboutli ( (Link ist extern)dpa )