DOMRADIO.DE: Sie haben einmal gesagt, man müsse für die Kriegsjahre "dankbar" sein. Was meinen Sie denn damit?

Wolodymyr Hruza (Weihbischof im ukrainischen Lwiw/Lemberg): Es ist eine provokative Aussage von mir, denn der Krieg hat sehr viel Not und Unruhe gebracht. Wie kann man also "dankbar" sein, wenn man auf diese drei Jahre zurückblickt?
Wir hätten als Ukraine nicht mehr existieren sollen. Aber wir sind als Volk, als Land, als Nation noch da. Von dieser Seite her betrachtet muss man dankbar sein. Wir sind dankbar für unsere Helden, für unsere Soldaten, für unsere Verteidigung des Landes insgesamt.
Bei Begräbnissen von Soldaten begegne ich Familienangehörigen oder den Eltern der verstorbenen Soldaten, die sagen, sie seien glücklich und dankbar, dass sie den Toten überhaupt begraben dürfen, denn es gibt leider sehr viele Soldaten, von denen man nicht weiß, wo sie sind. Sind sie am Leben oder nicht? Aber selbst wenn man die Nachricht bekommen hat, dass der Soldat gefallen ist, ist es sehr schwierig, ihn von der Front zurückzubringen. Von dieser Seite aus betrachtet darf man dann "dankbar" sein.
DOMRADIO.DE: Die Westukraine liegt nicht an der Front. Das Leben geht mit vielen Einschränkungen und Entbehrungen aber auch in der Stadt Lwiw weiter. Wie ergeht es dort den Frauen und Kindern, deren Männer, Väter oder Brüder im Moment als Soldaten kämpfen müssen?
Hruza: Alle in der Ukraine sind in irgendeiner Form verletzt oder traumatisiert. Das betrifft umso mehr die Angehörigen von Soldaten, die an der Front sind. Man lebt in ständiger Anspannung. Es ist sehr wichtig, dass man mit den Soldaten in Verbindung bleibt. Aber sehr oft gibt es aus verschiedenen Gründen keine Verbindung. Es gibt manchmal keinen Strom oder andere Hindernisse. Das ist dann natürlich äußerst schwierig. Je mehr Angehörige an der Front sind, desto größer ist dann auch die Anspannung und die Sorge.
Unsere Aufgabe ist es, ihnen zur Seite zu stehen und sie, soweit es geht, zu begleiten und zu unterstützen. Sehr wichtig ist es auch, den Soldaten an der Front eine Freude zu machen, etwas zu sammeln und es ihnen dann zu schicken. Es geht um ein Zeichen der Solidarität, damit sie wissen, dass jemand an ihrer Seite steht. Andererseits ist es für diese Soldaten an der Front aber ebenso wichtig, dass sie wissen, dass ihre Familie geborgen und in Sicherheit ist.
DOMRADIO.DE: Die Soldaten haben manchmal auch Urlaub. Wie ist es, wenn Männer Fronturlaub haben und nach Hause kommen? Was bekommen Sie davon mit?
Hruza: Es ist sehr wichtig, dass sie eine Zeit lang bei ihren Familien sein dürfen. Aber das Trauma begleitet sie dabei auch. Bei diesen Männern ist das Kameradschafts-Verständnis von immenser Bedeutung. Wenn wir ein Krankenhaus besuchen, in dem verletzte Soldaten liegen, dann sind die meist sehr unruhig, weil ihre Kameraden weiterhin an der Front sind. Sie wollen sie schnell wieder unterstützen.
Die Soldaten verbringen ihre freien Tage aber vor allem mit den Familien. Natürlich ist es sehr wichtig, bei den Familien und Kindern zu sein. Aber leider entstehen auch dort Spannungen, denn häufig sind die neuen Emotionen und Gefühle des Mannes, des Soldaten in der Familie unbekannt. Das gilt es zu begleiten und dafür zu sorgen, dass sie in diesem Stress nicht zum Alkohol greifen und nicht versuchen, auf diese Weise zu "entspannen". Sie sollten immer eine Alternative haben, denn die Gefahr ist immer da.
DOMRADIO.DE: Ihre Kirchen dienen auch als Schutzräume, wenn es Bombenalarm gibt. Gibt es denn auch Hochzeitsfeiern, Taufen und Kinderkommunion? Kann das alles stattfinden und ist überhaupt Bedarf dafür da?
Hruza: Zum Glück läuft die Pastoral ganz gut. Auch in den Schmerzen des Krieges werden Kinder geboren und in den Kirchen getauft, wenn es keinen Alarm oder die Gefahr von Raketeneinschlägen gibt. Es gibt auch Trauungen. Aber die Hochzeitsfeiern fallen heutzutage etwas kleiner aus. Die Menschen machen vorab auch die Ehevorbereitungskurse. Die Katechese für die Kinder läuft auch gut. Die erste Beichte und die feierliche Erstkommunion finden in der Stadt dann im Mai am Ende des Schuljahres statt.
Pastoral und Kirche laufen also ganz gut. Die Menschen brauchen dieses Miteinander. Die Pandemie hat die Menschen praktisch aus der Kirche vertrieben. Der Krieg hat die Menschen nun wieder zurück in die Kirche geholt. Der Mensch braucht Gemeinschaft. Die traumatisierten, verletzten Menschen und die Angehörigen der gefallenen Soldaten verstehen sich am besten, wenn sie miteinander ins Gespräch kommen.
DOMRADIO.DE: Wie schauen Sie auf die Annäherung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump mit dem Aggressor Wladimir Putin?
Hruza: Politik ist Politik. Wir wissen nicht, was Gott aus diesen Treffen, dieser Begegnung macht. Der Mensch kann sehr viele Pläne haben, aber Gott lenkt unsere Geschichte. Wir sind da sehr zuversichtlich. Es gibt im Verständnis der Menschen in der Ukraine keinen Weg zurück, weil es schon so viele Opfer gegeben hat. Wenn ich einer Mutter am Friedhof begegne, will sie wissen, wofür ihr Sohn sein Leben geopfert hat. Die Menschen können wirklich sehr viel Leid ertragen, wenn sie wissen, wofür.
Das Interview führte Tobias Fricke.