Sonne, Strand und Meer - doch die jungen Schwimmer, die aus dem blauen Wasser steigen, versprühen keine Urlaubslaune.
Hektisch rennen sie über den Sand in ein Land, von dem sie sich so viel erträumen. Internet-Videos zeigen die Lage zu Wochenbeginn in Ceuta, dem zu Spanien gehörenden Gebiet an der marokkanischen Mittelmeerküste. Noch nie sollen dort an einem einzigen Tag so viele Migranten angekommen sein.
Knapp 400 Kilometer weiter östlich haben Berichten zufolge mehrere hundert Menschen die andere spanische Exklave Melilla erreicht. Und das deutsche Rettungsschiff "Sea-Eye 4" mit 400 Migranten an Bord fleht nahezu zeitgleich um eine Einfahrterlaubnis in einen Hafen.
Damit ist die Debatte um Menschen auf der Flucht und um die Rolle Europas wieder voll entbrannt.
Mittelmeer eine der gefährlichsten Fluchtrouten
Das unter Urlaubern so beliebte Mittelmeer gilt als eine der gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. Zwar geht die Zahl der Toten seit 2016 zurück. Aber allein in diesem Jahr sind dort Schätzungen zufolge bereits 650 Menschen auf der Flucht ertrunken. Um das zu verhindern, halten Hilfsorganisationen häufig per Schiff Ausschau nach Menschen in Seenot.
Italien und Malta als nächste EU-Staaten lehnen dann regelmäßig die Einfahrt in ihre Häfen ab, wie die "Ocean Viking", die "Alan Kurdi" oder jetzt die "Sea-Eye 4" erfahren mussten. Eine politische Lösung ist immer noch nicht in Sicht und Corona hat sie nicht einfacher gemacht. So entsteht meist ein unwürdiges Geschachere, welcher Staat wieviele Gerettete aufnimmt.
Ob die relativ neue EU-Marineoperation Irini für Besserung sorgt, lässt sich noch nicht absehen. Ihr Hauptziel ist es, das Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen und Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Das Retten von Flüchtlingen kommt offenbar an zweiter Stelle.
So sehen sich nichtstaatliche Stellen in der Pflicht und springen in die Bresche. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat im vergangenen Jahr öffentlichkeitswirksam ein eigenes Boot losgeschickt. Und der katholische Ruhestandsbischof Michael Wüstenberg war kürzlich bei der Überführungsfahrt der "Sea-Eye 4" mit an Bord, sagte danach im KNA-Interview: "Es ist ein Skandal, wie sich Europa verhält."
Auch Kritik an privater Seenotrettung
Kritiker der sogenannten privaten Seenotrettung äußern dagegen die Sorge, Rettungsboote übten eine Sogwirkung auf Flüchtlinge aus. So arbeiteten sie letztlich Hand in Hand mit Schlepperbanden. Für Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz etwa steht fest, wie sich das Sterben im Mittelmeer am besten stoppen ließe: den Schleppern das Handwerk legen und verhindern, dass sich ihre Boote überhaupt auf den Weg machen.
Doch in den Booten sitzen Menschen - und sie brechen auf, weil sie vor Krieg, Verfolgung oder Armut fliehen. Viele Hilfsorganisationen schauen deshalb über das Mittelmeer hinaus: Seit Jahren pochen sie auf fairen Handel mit Afrika, mahnen Geld für Entwicklung an, leisten selbst eine Menge von Brunnenbau bis Bildung - und werden dafür oft als "Gutmenschen" abgekanzelt.
Menschlichkeit und Nächstenliebe bleiben für die kriminellen Schlepper eher Fremdwörter. Eine Mutter berichtet, wie der gebuchte Schleuser ihr Kind mit dem Messer bedrohte, weil es zu laut geweint hatte. Und manche Kriminelle schippern Flüchtlinge aufs offene Meer, wo sie vom seetauglichen Schnellboot in wankende Schlauchboote umsteigen und auf Retter warten müssen. Das sollen Videos der EU-Grenzschutzagentur beweisen.
Private Rettungsboote seien jedoch für das Versorgen von Schiffbrüchigen nicht ausgestattet, kritisiert der langjährige SPD-Politiker Richard Schröder: "Wenn sich ihnen kein Hafen öffnet, klagt die Besatzung ganz schnell über unzumutbare hygienische Verhältnisse für die aus Seenot Geretteten, obwohl im Voraus klar war, wann diese unweigerlich eintreten werden. Das riecht nach Erpressung mittels eines vorhergesehen Notstands."
Nichts zu hören ist derzeit vom katholischen Flüchtlingsbischof Stefan Heße. Noch läuft die Prüfung seiner Rolle im Zusammenhang mit der Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln und Papst Franziskus hat ihm eine Auszeit gewährt (oder angeordnet). Doch einige Bistümer, darunter Limburg, unterstützen die Rettungseinsätze ausdrücklich.
Kardinal Woelki für Seenotrettung
Auch die Kardinäle Reinhard Marx und Rainer Maria Woelki haben sich klar zur Seenotrettung bekannt.
Und allen voran Papst Franziskus: Gleich seine erste Reise nach der Wahl 2013 führte ihn auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa. Und zuletzt kritisierte er Ende April nach einem größeren Bootsunglück vor Libyen nicht minder betrübt: "Es ist eine Schande."
Wenn die "Sea-Eye 4" demnächst die ersten Migranten an Land lässt, wird die Diskussion wieder hochkochen: wieviele, wohin? Wüstenberg will den Blick in eine andere Richtung lenken: "Wir brauchen menschliche Aufnahmebedingungen und müssen Fluchtursachen bekämpfen.
Das ist ein sehr anstrengendes und langwieriges Unterfangen."