Das Thema Migration wird im Wahlkampf hitzig diskutiert, doch die globale Dimension oft vergessen. Wir stehen vor einem sozialen Phänomen, das eine weitblickende Politik der internationalen Kooperation erfordert. Dafür braucht es ein neues Bewusstsein globaler humaner Verantwortung, das alle in die Pflicht nimmt. Dafür möchten wir werben.
Migration ist global beinahe zu einem "notwendigen Übel" - sowohl für die betroffenen Migranten wie auch für die internationale Gemeinschaft - geworden. Diese Herausforderung verlangt, dass wir im Blick auf alle Beteiligten die Menschenwürde jedes Einzelnen und die Möglichkeiten internationaler Solidarität zu Maßstäben des Handelns machen. Ziel muss aus ethischer Sicht immer die nachhaltige Entwicklung und die Entfaltung der Person sein.
Wir schauen auf jeden Migranten als Menschen. Und wir schauen auf die Gesellschaften, aus denen sie kommen und zu denen sie fliehen. Die bestmögliche Entfaltung jedes Menschen als Person ist für uns Christen immer das unaufgebbare Ziel globaler Gerechtigkeit. Diese Entwicklung gelingt nur in sozialen Kontexten, die dazu bereit sind. Die christliche Perspektive ist der Schlüssel für eine ethisch fundierte und ausgewogene Migrationspolitik. Hierauf aufmerksam zu machen, ist unser Hauptanliegen.
Rechte (nicht) auszuwandern
Weil das Thema den Menschen in seiner Würde so fundamental betrifft, kann es der Kirche nicht gleichgültig sein. Christen sehen in jedem Menschen das personale Bild und Gleichnis des Schöpfers. Deshalb bekräftigt die Kirche einerseits das Recht der Menschen, nicht auszuwandern. Das heißt, in Frieden und Würde in der Heimat zu leben. Jeder Mensch hat also das Recht, die Güter der Erde im eigenen kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Kontext genießen zu können.
Angesichts unwürdiger Lebensumstände, die viele Menschen in ihrer Heimat erleben, bejaht die Kirche zugleich das Recht auf Auswanderung als konstitutiv für die Würde. Jeder hat das Recht, bessere Lebensbedingungen zu suchen und an neuer Stelle Gutes zum Gemeinwohl beizutragen. Unser Fokus richtet sich auf Menschen, die durch bedrohliche Umstände in ihrer Heimat dazu gezwungen sind.
Soziale Tugend
Auch bei der Diskussion um Zwangsmigration wird bedauerlicherweise häufig der Fokus auf die Zahlen der Einwanderer bzw. der Flüchtlinge gelegt. Es geht aber nicht um Zahlen, sondern um Menschen. Menschen müssen in ihrer Individualität wahrgenommen werden. Nur mit dieser Perspektive können wir ihre jeweilige Situation erkennen und verstehen. Es ist wichtig, eine klare Unterscheidung zwischen regulärer und irregulärer Migration zu treffen und sie nach den jeweiligen Möglichkeiten mit geeigneten Maßnahmen zu regulieren.
Doch es muss dabei immer die Achtung der Würde jedes Migranten im Blick sein. Diese Perspektive geht bisweilen verloren. Aus Sicht christlicher Sozialethik braucht es dazu die soziale Konkretisierung der Nächstenliebe gegenüber denen, die durch den "Brennofen" der Migration gehen. Diese soziale Tugend fördert ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass im Migranten nicht nur ein Problem gesehen wird, sondern ein Bruder und eine Schwester, die aufgenommen, geachtet und wertgeschätzt werden.
Soziale Rechte und Pflichten
Aus der sozialen Tugend folgen die sozialen Rechte und damit die sozialen Prinzipien. Solidarität begründet dann Rechtsansprüche der Migranten auf Hilfe. Diese richten sich an die globale Menschengemeinschaft, die endlich Wege finden muss, solche Rechte auch einzulösen.
Die Rechte korrespondieren mit Pflichten. Subsidiarität impliziert immer Gegenseitigkeit, also dass die Migranten zu gegebener Zeit selbst helfende Hand für andere werden. Genau diese Mit-Verantwortung nimmt alle in die Pflicht. Sie stärkt den Zusammenhalt auf allen Seiten.
Gemeinschaft neu denken
Regierenden und zivilgesellschaftlichen Organisationen kommt eine besondere Rolle bei der Förderung eines Bewusstseins von Nächstenliebe, Wertschätzung und Dankbarkeit zu, das auf einer Idee der Hilfe zur Selbsthilfe beruht. Ein solches Bewusstsein stärkt das gesellschaftliche Potenzial, Migranten aufzunehmen, zu schützen, zu integrieren und zu fördern. Integration meint in diesem Zusammenhang einen wechselseitigen Prozess, der sich im Wesentlichen auf die gegenseitige Anerkennung des kulturellen Reichtums des jeweils anderen gründet und die Migranten zugleich zu aktiven Protagonisten ihres eigenen Integrationsprozesses macht.
Im Sinne der Würde der menschlichen Person kann der Integrationsprozess nicht bei der Entwicklung oder Verbesserung der Situation des Migranten stehen bleiben. Ziel muss es sein, dass er selbst zum Gemeinwohl einer Gesellschaft beiträgt. Genau das ist momentan eine der großen Herausforderungen, an denen alle gesellschaftlichen Akteure mitzuwirken haben, zum sozialen Frieden und Zusammenhalt, zum Wohle aller – jenseits jeglicher politischen oder partikularen Interessen.
Die Thesen stammen aus einer Seminararbeit, die an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) als hypothetische Sozialenzyklika des Papstes zum Thema (Zwangs-)Migration geschrieben wurde. Über die Autoren:
- Ezekiel Ifeanyichukwu Oko, Priester des Bistums Enugu, Nigeria. Er arbeitet im Erzbistum Köln. Seit 2024 Doktorand an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) im Bereich Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Dialog.
- Mario Vera Zamora, Priester des Erzbistums Köln. Seit 2023 Doktorand an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) im Bereich der Bibelwissenschaften.