Putin spreche der Ukraine mit Verweis auf die historische Taufe der Rus in Kiew das Recht auf Staatlichkeit ab, sagte Overbeck im Interview der Zeitschrift "Publik-Forum" (Ausgabe vom Freitag). "Das zeigt ein Sendungsbewusstsein, das hoch gefährlich ist, weil es ideologisiert und immunisiert."
Als "bizarres Paradox" bezeichnete es der Essener Bischof, dass Teile der russisch-orthodoxen Kirche nationalistische Sichtweisen verträten und den Krieg guthießen. Staat und Kirche instrumentalisierten sich gegenseitig, kirchliche Stellungnahmen hätten dann keinen Wert mehr.
Kritik an Patriarch Kyrill
Jedoch wies Overbeck auch darauf hin, dass weltweit die orthodoxen Kirchen mehrheitlich gegen den Krieg seien. Der Moskauer Patriarch Kyrill sei folglich "eine Ausnahme".
Overbeck verteidigte Papst Franziskus gegen den Vorwurf, die russische Aggression nicht nachdrücklich genug zu verurteilen.
Bislang hat das Kirchenoberhaupt weder Putin noch Kyrill namentlich kritisiert. Der Papst sei in seinem Friedensappell "sehr deutlich" gewesen, sagte Overbeck. Dass seine Kritik gegenüber Putin weniger scharf gewesen sei, als die Papst Johannes Pauls II. gegenüber dem US-Präsidenten George W. Bush nach dem Ausbruch des Irak-Krieges 2003, führt der Ruhrbischof auch auf die Herkunft des derzeitigen Kirchenoberhauptes zurück: "Als Nicht-Europäer sieht Franziskus die Konfliktlinien möglicherweise anders als wir."
Eine moralische Pflicht, die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstützen, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wiederholt gefordert hat, sehe er nicht, erklärte Overbeck. "Aber es gibt eine praktisch-pragmatische Begründung, die man ethisch vertreten kann. In einem solchen Rahmen verstehe ich das, was jetzt Bündnispartner der Nato für die Ukraine tun."
Kein "gerechter Krieg"
Auch von einem "gerechten Krieg" würde er nicht sprechen wollen; dennoch gebe es "gerechtfertigte Anlässe einzugreifen", betonte der Militärbischof. "Es ist wichtig, dass wir als Christen darauf hinweisen, dass der Krieg eine äußerst brutale Gestalt des Bösen ist und nicht sein soll. Und dass uns die Nachfolge Christi verpflichtet, Wege der Versöhnung zu suchen. Diese dürfen auch im Krieg niemals vergessen werden."
Die von der Bundesregierung ausgesprochene Investition von 100 Milliarden Euro zur Ausrüstung der Bundeswehr nannte Overbeck "mutig", obschon sie zu Spannung innerhalb der Koalition führe.
Politisch und militärisch halte er die Entscheidung aber für richtig, erklärte der Bischof.