KNA: Sie waren war vor dem Welternährungstag am Montag eine Woche lang in Paraguay und Ecuador unterwegs und kritisieren nun das von Weltkonzernen in Südamerika betriebene "Agrobusiness" scharf. Was genau ist der Unterschied zur herkömmlichen Landwirtschaft?
Pirmin Spiegel (Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des katholischen Entwicklungshilfswerks Misereor): "Agrobusiness" bedeutet eine mechanisierte, stark industrialisierte Landwirtschaft, die auf modernste Technik und Agrarchemikalien setzt, exportorientiert ist und nicht zuerst an die Versorgung der Menschen vor Ort oder an die Umwelt denkt. Das Alternativmodell ist eine nachhaltige, diversifizierte und der Kultur angepasste Landwirtschaft, die in Paraguay etwa von den Campesinos und den Indigenen betrieben wird. Sie benötigt technische Begleitung, Zugang zu Kleinkrediten und lokalen Märkten.
KNA: Sie sagen, das Modell des "Agrobusiness" wird zwar von den großen Saatgutkonzernen als Fortschritt verkauft, schadet aber letztlich den Menschen. Inwiefern?
Spiegel: Dieser angebliche Fortschritt des "Agrobusiness" lässt die Menschen verarmen - das sagt etwa der paraguayische Bischof Juan Bautista Gavilan. Beim "Agrobusiness" kann eine Person etwa 480 Hektar Soja maschinell bewirtschaften. Das bedeutet: Dieses Gebiet wird entvölkert; Menschen, die vorher dort gelebt haben, werden weggeschoben in die Städte. Es ist also kein Fortschritt mit menschlichem Gesicht, der das gute Leben aller im Blick hat.
KNA: Welche Länder sind am meisten betroffen?
Spiegel: Das trifft vor allem Lateinamerika, und dort insbesondere Paraguay, Brasilien und Argentinien. Zugleich wissen wir von unseren Partnerorganisationen, dass "Landgrabbing" auch in asiatischen und afrikanischen Ländern kein Fremdwort ist. Darunter versteht man die großflächige Aneignung von Land zum Anbau von Agrarrohstoffen für den Export, oftmals getätigt von Industriestaaten in Entwicklungsländern. Die Pflanzen werden als Nahrungsmittel oder für die Energie- oder Futtermittelproduktion genutzt.
KNA: Können Sie ein Beispiel nennen?
Spiegel: In Kambodscha oder Tansania beispielsweise investieren ausländische Unternehmen oder Finanzakteure im großen Stil in Land.
KNA: Schon heute teilen sich einige wenige globale Saatgut-Konzerne den Weltmarkt untereinander auf: Monsanto, DuPont und Syngenta. Und jetzt soll es noch eine Fusion des US-Konzerns Monsanto mit dem deutschen Unternehmen Bayer geben. Was wäre die Folge?
Spiegel: Es würde bedeuten, dass in der Landwirtschaft die Nahrungsmittelproduktion noch weniger diversifiziert wäre, dass die Märkte und damit auch die Preise von einigen wenigen bestimmt werden. Dass das Saatgut und entsprechende Pestizide, die Monsanto und Bayer herstellen, jedes Jahr von den Bauern neu gekauft werden müssen - und viele Kleinbauern dadurch in einen Kreislauf der Verschuldung geraten. Und dass die Entvölkerung des ländlichen Raumes, in dem viele Millionen Kleinbauern weltweit leben, fortschreitet. Hier geht es also letztlich um die Würde der Menschen.
KNA: Wie bewerten Sie den im "Agrobusiness" gängigen massiven Einsatz von Pestiziden?
Spiegel: Durch den Pestizid-Einsatz gibt es kurzfristig und langfristig Schäden für Mensch, Umwelt und Tiere. Vertreter des "Agrobusiness" sprechen zwar von Einzelfällen und "Kollateralschäden", aber wir sehen das anders.
KNA: Das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat soll nach dem Willen der EU-Kommission bald für weitere zehn Jahre in Europa zugelassen werden - zum Jahresende läuft die aktuelle Genehmigung aus. Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Spiegel: Solange nicht völlig geklärt ist, dass Glyphosat keine negativen Folgen für Mensch und Umwelt hat, darf es nicht zugelassen werden. Nach unseren Informationen sind die Gutachten zu Glyphosat, die die Europäische Gemeinschaft wie auch die Bundesregierung eingeholt haben, von Industrieinteressen geleitet und damit weder neutral noch transparent.
KNA: Welche Möglichkeiten der Einflussnahme haben die Kirchen gegen die übermächtigen Konzerne?
Spiegel: Eine unserer Stärken ist, dass wir eine andere Perspektive in die Diskussion einbringen können, indem wir berichten, wie es denen geht, die angeblich von den Ansätzen des "Agrobusiness" profitieren sollen. Und wir können an vielen positiven Beispielen zeigen, wie der Kampf gegen den Hunger effektiver gewonnen werden könnte. Schließlich sind wir offen für das Gespräch mit allen Beteiligten und führen diese Gespräche auch. Wir setzen uns dafür ein, dass in der Diskussion zivilgesellschaftliche Akteure und Kleinbauern stärker gehört werden.
das Interview führte Norbert Demuth.