DOMRADIO.DE: Ein wichtiges Thema der Gegenwart hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine aktuell stark überlagert. Die Klimakrise ist ein wenig in den Hintergrund gerückt. Sie waren am Wochenende bei einer Demonstration gegen Armut und Klimazerstörung im Vorfeld des G7-Gipfels in München dabei. Mit welcher Forderung?
Dr. Klaus Schilder (Referent für verantwortliches Wirtschaften bei Misereor): Wir fordern selbstverständlich, dass sich die G7-Staaten für ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen auf internationaler Ebene einsetzen. Das gilt sowohl bei der Bekämpfung der Ursachen des Klimawandels als auch bei der Finanzierung der Folgen der Anpassungsmaßnahmen. Hier müssen die G7-Staaten den internationalen Verpflichtungen, die notwendige Klimafinanzierung zu mobilisieren, dringend nachkommen. Wir erwarten hier ein starkes Signal aus Elmau.
Darüber hinaus sind wir uns bewusst, dass der Krieg in der Ukraine dazu geführt hat, dass immer stärker fossile Energieträger nachgefragt werden. Auch hier sind wir der Meinung, dass dies der falsche Weg ist. Die Weichen müssen dringend in Richtung erneuerbare Energieträger gestellt werden.
DOMRADIO.DE: Die Welt steht seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine vor ganz neuen Herausforderungen, nachdem nicht mal die Pandemie richtig besiegt ist. Gibt es gerade einfach Wichtigeres als den Klimaschutz oder wie würden Sie das sagen?
Schilder: Wir befinden uns in einem sehr schwierigen politischen Umfeld. Die G7 sprechen auch in Elmau sehr viel über die Folgen des Ukraine-Krieges und die globalen Auswirkungen.
Aber Misereor ist der Meinung, dass bei den globalen Auswirkungen die Folgen für die vielen Länder des globalen Südens in Vergessenheit geraten. Wenn wir beispielsweise sagen, dass wir verstärkt Steinkohle aus Ländern des globalen Südens wie Kolumbien und anderen Herkunftsländern importieren, dann müssen wir darauf achten, dass mit diesen zunehmenden Importen möglicherweise eklatante Umweltschäden und schwere Menschenrechtsverletzungen verbunden sind.
Es kann nicht sein, dass wir das in Kauf nehmen, nur um den Energiebedarf im globalen Norden zu decken. Hier sehen wir ein großes Problem. Die G7 müssen hier dringend handeln.
DOMRADIO.DE: EU-Ratspräsident Michel hat eine Lösung im Konflikt um blockiertes Getreide gefordert. 22 Millionen Tonnen stecken gerade in ukrainischen Häfen fest. Wir spüren das in Deutschland am Preisniveau. Viele afrikanische Länder haben dagegen schon jetzt eine ernste Nahrungsmittelkrise, oder?
Schilder: Das ist richtig. Fast 800 Millionen Menschen weltweit sind von Hunger bedroht. Wir sehen seit Beginn des Jahres, dass sich beispielsweise die Weizenpreise um mehr als 50 Prozent verdoppelt haben. Das gilt natürlich auch für andere Grundnahrungsmittel. Grund ist der Krieg in der Ukraine.
Wir sehen aber auch, dass die Spekulation mit Nahrungsmitteln an den Finanzmärkten stark anwächst und dramatisch zunimmt. Das hatten wir schon mal in Folge der Finanzkrise 2008 und 2009. Das darf nicht sein.
Es wird mit steigenden Preisen quasi auf Kosten der Hungernden gewettet. Hier können die G7 auch handeln. Sie können sofort handeln und sie müssen sofort handeln.
Sie könnten beispielsweise Preisniveaus und Mengen-Beschränkungen an den Finanzmärkten durchsetzen, sodass diese Spekulation eingedämmt werden würde.
DOMRADIO.DE: Deutschland wollte auch mit den anderen Staaten der G7 Gruppe beschließen, vorübergehend keine Biokraftstoffe mehr zu produzieren, um die Getreidepreise zu senken. Der Vorschlag ist offenbar an den USA und Kanada gescheitert. Hätte das aus Ihrer Sicht etwas gegen die Nahrungsmittelknappheit gebracht?
Schilder: Wir haben es in vielen Bereichen damit zu tun, dass sich die G7 nicht einigen können. Natürlich sind alle Maßnahmen geeignet, die den Verbrauch von Nahrungsmitteln für alternative Zwecke wie für Fortbewegung, Mobilität im Verkehrssektor einschränken, um der Ernährungskrise zu begegnen.
Allerdings muss es auch rasch zu einer Umverteilung und Bereitstellung von Lebensmitteln im globalen Süden kommen. Diese Maßnahme allein ist nicht hinreichend, um der drohenden Hungerkrise zu begegnen. Deshalb bin ich insbesondere auf die Spekulation auf den Nahrungsmittelmärkten eingegangen.
DOMRADIO.DE: Wie konkret können denn die G7 der weltweiten Ernährungskrise entgegensteuern? Was fordern Sie da?
Schilder: Sie können in vielen Bereichen handeln, die augenscheinlich erst einmal gar nichts mit der Hungerkrise zu tun haben. Ein Beispiel ist die globale Verschuldungskrise. Viele Länder im globalen Süden haben einfach nicht die finanziellen Ressourcen in ihren Haushalten, um jetzt externe Nahrungsmittel zu kaufen. Selbst wenn Getreide an den internationalen Märkten verfügbar ist, ist es sehr viel teurer geworden.
Und die G7 könnten jetzt ambitionierte Entschuldungsmaßnahmen für viele hochverschuldete Länder im globalen Süden durchsetzen. Das würde dann fiskalpolitische Spielräume schaffen. Die Länder hätten also mehr Geld in der Kasse, um dann sofort Nahrungsmittel zu kaufen.
Neben diesen sofortigen Schuldenerlassen müsste dann allerdings in einem zweiten Schritt, über ein geregeltes Entscheidungsverfahren für ein sogenanntes Insolvenzverfahren auf internationaler Ebene geworben werden. Auch das ist seit Jahrzehnten notwendig.
Das Interview führte Julia Reck.