Misereor Schuldenreport weist dramatische Entwicklung aus

"Der Teufelskreis der Schuldenspirale"

136 von 152 Staaten des Globalen Südens sind kritisch verschuldet. 40 von ihnen sogar sehr kritisch. Das sagt der neue Misereor-Schuldenreport. Schuld ist unter anderem auch der Krieg in der Ukraine, erklärt einer der Mitautoren.

Der globale Süden leidet besonders unter der Klimakrise / © Riccardo Mayer (shutterstock)
Der globale Süden leidet besonders unter der Klimakrise / © Riccardo Mayer ( shutterstock )
Klaus Schilder / © N.N. (MISEREOR)

DOMRADIO.DE: Was genau bedeutet es denn für die Länder des globalen Südens, "kritisch verschuldet" zu sein?

Dr. KlausSchilder (Experte für Entwicklungsfinanzierung und Mitautor des Berichts): Es bedeutet vor allem für die besonders armen Menschen in den Ländern des globalen Südens, dass sie praktisch keine Möglichkeiten mehr haben, die Dinge des alltäglichen Bedarfes zu kaufen. Durch den Krieg in der Ukraine sind beispielsweise die Lebensmittelpreise deutlich gestiegen. Viele Familien haben kein Geld mehr, ausreichend Lebensmittel zu kaufen.

Sie haben aber auch kein Geld mehr, das Schulgeld für ihre Kinder zu bezahlen. Viele Kinder müssen aus diesem Grund zu Hause bleiben. Gleichzeitig sind aber auch die Staatskassen leer. Viele der hochverschuldeten Staaten können die Ausgaben für dringend benötigte Gesundheitsvorsorge oder im Bildungsbereich nicht mehr leisten.

DOMRADIO.DE: Warum spricht man eigentlich hauptsächlich über die Länder im globalen Süden?

Schilder: Die meisten der kritisch oder sehr kritisch verschuldeten Länder sind im globalen Süden angesiedelt. Wir haben es mit einer Verschärfung der Verschuldungssituation durch die Corona-Krise und die Folgen der Corona-Pandemie zu tun. Waren vor der Pandemie noch 37 Prozent der Länder hoch verschuldet, so sind es jetzt nach der Pandemie 64 Prozent.

Das bedeutet, dass viele Länder im globalen Süden keine Puffer-Kapazitäten hatten, um die hohen Kosten, die Folgen, die mit der Pandemie einhergingen, abzufedern und finanziell auszugleichen.

DOMRADIO.DE: Wenn Länder ihre Schulden überhaupt nicht mehr begleichen können, wie gehen dann die Länder damit um, die den anderen Ländern das Geld geliehen haben?

Schilder: In der Regel werden Staatsschulden umgeschuldet, das heißt, wenn man am Ende der Laufzeit eines Schuldenvertrages angekommen ist und die Schulden nicht zurückgezahlt wurden, dann gibt es Folgeverträge. Das ist insofern jetzt deutlich erschwert, als durch die globale Zinswende die Zinsen für die Refinanzierung bestehender Staatsverschuldung deutlich gestiegen sind. Also, es wird viel teurer umzuschulden.

Das kennen wir auch aus dem privaten Bereich. Denken Sie an die Immobilienfinanzierung. Viele der Länder haben aber nicht die Möglichkeiten aufgrund der ohnehin schon klammen Kassen, diese Refinanzierungskosten zu bezahlen. Der Teufelskreis einer immer wachsenden Schuldenspirale dreht sich also weiter.

Dazu kommen in vielen Ländern dann beispielsweise die Auswirkungen von Naturkatastrophen. So hatten wir vor einiger Zeit in vielen Ländern des südöstlichen Afrikas einen verheerenden Wirbelsturm, der dazu geführt hat, dass die Infrastruktur zerstört wurde, dass viele Felder überflutet wurden und dass enorme Zusatzkosten für den Wiederaufbau dazukommen.

Auch Naturkatastrophen können so die Verschuldungssituation im globalen Süden verschärfen.

DOMRADIO.DE: Wie könnten denn Lösungsansätze dafür aussehen?

Schilder: Wenn wir bei den vom Klimawandel betroffenen Staaten bleiben, so können wir sagen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, sofort darauf zu reagieren. Die Staaten könnten beispielsweise ein sofortiges Schuldenmoratorium im Falle von Klimakatastrophen erhalten und dann einen anschließenden Prozess, der zu einer Umstrukturierung führt, zu einem teilweisen oder völligen Erlass der Auslandsschulden.

Das haben wir schon 2020 vorgeschlagen. Das wäre ein sehr wirksamer Mechanismus, um gerade diese klimavulnerablen Länder zu unterstützen.

Darüber hinaus fordern wir und erwarten wir von der Bundesregierung Schritte hin zu einem internationalen Staateninsolvenzverfahren. Das ist analog zu einem Privatinsolvenzverfahren ein koordiniertes, faires und transparentes Verfahren, das es Ländern in Zahlungsschwierigkeiten ermöglichen würde, einen Weg aus der Schuldenspirale zu finden.

Das Interview führte Elena Hong.

Bischöfliches Hilfswerk Misereor

Misereor ist das weltweit größte kirchliche Entwicklungshilfswerk. Es wurde 1958 von den katholischen Bischöfen in Deutschland auf Vorschlag des damaligen Kölner Kardinals Josef Frings als Aktion gegen Hunger und Krankheit in der Welt gegründet.

Der Name bezieht sich auf das im Markus-Evangelium überlieferte Jesuswort "Misereor super turbam" (Ich erbarme mich des Volkes). Sitz des Hilfswerks ist Aachen.

Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht (KNA)
Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR