Missbrauchsbeauftragte kommentiert den Umgang der Kirchen

"Nicht ablenken"

Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, hat die beiden großen Kirchen aufgefordert, "einen kirchengesetzlichen Rahmen für Aufarbeitung" zu schaffen. Es gäbe noch Verbesserungspotential.

Kerstin Claus (UBSKM)
Kerstin Claus / ( UBSKM )

Kerstin Claus sagte dem in Berlin erscheinenden evangelischen Magazin "zeitzeichen": "Das ist wichtig, da der Staat hier keine Durchgriffsrechte hat."

Der Ruf nach dem Staat, der seitens der Kirchen immer wieder laut werde, wenn es für betroffene Menschen um die individuelle Aufarbeitung ihrer Erfahrungen in der Kirche gehe, "ist letztlich eher ein Ablenkungsmanöver", kritisierte Claus. "Denn es sind die Kirchen selbst, die in die Verantwortung gehen und innerkirchlich regeln müssen, wie Betroffenen eine umfassende Aufarbeitungermöglicht werden kann."

Betroffene unterstützen 

Claus äußerte sich vor dem Hintergrund des Anti-Missbrauchsgesetzes, das in diesem Herbst in den Bundestag kommen soll. Das Bundeskabinett hat den Regierungsentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) Mitte Juni auf den Weg gebracht. Er sieht vor, betroffenen Erwachsene im Umgang mit Behörden zu unterstützen und ihnen die Akteneinsicht zu ermöglichen, damit sienachvollziehen können, was etwa Jugendämter über ihren Fall wussten und unternommen oder unterlassen haben.

Die Grünen-Politikerin Lisa Paus übernimmt die Schirmherrschaft für die kommende 72-Stunden-Aktion  / © Michael Kappeler (dpa)
Die Grünen-Politikerin Lisa Paus übernimmt die Schirmherrschaft für die kommende 72-Stunden-Aktion / © Michael Kappeler ( dpa )

Außerdem ist vorgesehen, das Amt der Missbrauchsbeauftragten, den Betroffenenrat sowie die unabhängig arbeitende Aufarbeitungskommission aufzuwerten. Sie sollen gesetzlich verankert werden und künftig regelmäßig dem Bundestag und der Regierung berichten. Ziel ist es, das Wissen über sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu erweitern und Handlungsempfehlungen ableiten zu können.

Evangelische Anerkennungsleistungen nicht transparent 

Außerdem hat  Kerstin Claus das derzeitige Verfahren für Anerkennungsleistungen in der evangelischen Kirche für Missbrauchsbetroffene als nicht transparent kritisiert. In den 20 evangelischen Landeskirchen fehlten vergleichbare Regelungen auf Basis nachvollziehbarer Kriterien.

Für die Höhe der Zahlung sei oft entscheidend, wie "bedürftig" eine betroffene Person erscheine. "Es fehlt der klare Bezug auf die Taten, ihr Ausmaß oder auch die Dauer", sagte Claus. Vielfach behalte sich die zuständige kirchliche Stelle zudem vor, Anerkennungszahlungen als Sachleistungen zu ermöglichen, etwa in Form einer Therapie, einer Fortbildung oder einer Reise. "Da wird dann auch mal sehr paternalistisch entschieden nach dem Motto: Wir wissen, was gut und angemessen für Betroffene ist."

Katholisches System als Vorbild?

Zusätzlich könne dies dazu führen, dass Betroffene, die sich gut artikulieren können oder eher fordernd auftreten, am Ende höhere Leistungen erhalten als andere, die weniger gut für sich einstehen können, mahnte Claus.

Symbolbild Kindesmissbrauch / © Iren_Geo (shutterstock)
Symbolbild Kindesmissbrauch / © Iren_Geo ( shutterstock )

Das katholische System der Unabhängigen Anerkennungskommission könne hier als Vorbild dienen, die über alle Anträge auf Anerkennungszahlungen aus den 27 katholischen Bistümern in Deutschland entscheidet. Insgesamt wurden seit ihrem Start am 1. Januar 2021 rund 57 Millionen Euro an Betroffene von Missbrauch in der katholischen Kirche ausgezahlt.

Die Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) arbeitet derzeit an einem eigenen System für die Anerkennungsleistungen. Ende Januar hatte ein unabhängiges Forschungsteam die ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie vorgestellt. Es geht darin von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern aus, vermutet aber eine deutlich höhere Dunkelziffer.

MHG-Studie der Bischofskonferenz und ForuM-Studie der EKD

Die vor fünf Jahren veröffentlichte MHG-Studie der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und die ForuM-Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche lassen sich nur bedingt miteinander vergleichen. Ziel ist es jeweils, Umfang und Strukturen des Missbrauchs in katholischer und evangelischer Kirche zu ermitteln. Die Kirchen sind auch Auftraggeber der Studien.

MHG-Studie / © Harald Oppitz (KNA)
MHG-Studie / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
epd