Als mit Marie Collins Anfang März das letzte Missbrauchsopfer die päpstliche Kinderschutzkommission verließ, war das ein Paukenschlag. Der ist kaum verhallt, da legt die Irin, die im Alter von 13 Jahren Opfer sexueller Übergriffe eines Priesters wurde, nach - in einem offenen Brief an den Präfekten der Glaubenskongregation, Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller. Seine Behörde ist im Vatikan für die Ahndung sexuellen Missbrauchs durch Priester zuständig. Collins hatte in ihrer Rücktrittsbegründung der Kongregation Versäumnisse vorgeworfen.
Angemessene Antworten
"Wenn es Probleme gibt, erreicht man nichts dadurch, dass man so tut, als sei alles gut", schreibt die 70-Jährige. Konkret nennt sie in ihrem Brief, den Medien am Dienstag veröffentlichten, sieben Punkte, zu denen sie eine Stellungnahme Müllers wünscht. Auf Kritik wie die ihre müsse es "angemessene Antworten" geben und bei Missbrauchsfällen "Transparenz, Ehrlichkeit und Deutlichkeit".
Vorwürfe und Missverständnisse
Im Gespräch mit dem "Corriere della Sera" hatte Müller kurz zuvor die Arbeit seiner Behörde verteidigt. Tenor: Er könne Collins Vorwürfe nicht nachvollziehen. Collins machte nun wiederum deutlich, dass sie ihrerseits Aussagen des Kardinals teilweise nicht nachvollziehen könne.
Die Irin kritisierte etwa erneut, dass in der Glaubenskongregation eine 2015 angekündigte juristische Abteilung zum Umgang von Bischöfen mit Missbrauchsfällen bislang nicht eingerichtet worden sei. Es gehe um mehr als ein "Projekt", wie der Präfekt in dem Interview gesagt habe. Vielmehr habe Papst Franziskus bereits die Einrichtung der neuen Rechtsabteilung sowie das dafür nötige Personal genehmigt, auch der Kardinalsrat und die päpstliche Kinderschutzkommission hätten sich dafür ausgesprochen. Nach Müllers Darstellung erfolgte die Einrichtung nicht, da die Bischofskongregation bereits alle nötigen Kompetenzen habe.
Collins fragte auch, wieso bisher noch nie ein Bischof wegen Vertuschung von Kindesmissbrauch offiziell bestraft worden sei. Wenn dies nicht am Mangel dafür nötiger Gesetze liege, sei möglicherweise "mangelnder Wille" der Grund, mutmaßte sie.
Fehlende Transparenz
Collins nutzte ihren Brief auch zur Klarstellung eines anderen Punktes: Sie hatte der Glaubenskongregation vorgeworfen, Schreiben von Missbrauchsopfern nicht zu beantworten. Müller sagte, seine Behörde informiere stets den zuständigen Ortsbischof, um eine seelsorgerische Betreuung zu ermöglichen. Es sei jedoch ein Missverständnis zu glauben, seine Behörde könne sich um alle Bistümer und Orden der Weltkirche kümmern. Collins erklärte dazu, es sei der Kinderschutzkommission immer nur um eine schlichte Eingangsbestätigung durch die Glaubenskongregation gegangen.
Wer kennt sich?
In einigen anderen Punkten geht jedoch die Sicht von beiden offensichtlich weiter auseinander: So sagte der Kardinal im Interview, er habe nie Gelegenheit gehabt, sie persönlich zu treffen.
Die Irin spricht in ihrem offenen Brief jedoch von einer Begegnung bei einem Abendessen in Dublin, gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Kinderschutzkommission. Weiter hatte Müller in dem Interview erklärt, einer seiner Mitarbeiter in der Kongregation sei zugleich Mitglied der Kinderschutzkommission. Collins wies daraufhin, dass der betreffende Mitarbeiter - Claudio Papale - bereits 2015 seine aktive Zusammenarbeit mit der Kommission beendet habe.
Weiterer Klärungsbedarf
Es scheint, als gebe es noch einigen Klärungsbedarf zwischen Müller und Collins, die betont, es gehe ihr ausschließlich um besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen, wo "auch immer auf der Welt die katholische Kirche präsent ist". Eigentlich müssten beide da auf einer Linie liegen. Ende Februar hatte Müller in einem anderen Interview zum Thema Missbrauch gesagt: "Die Kirche arbeitet, im Gegensatz zu vielen anderen Institutionen, wirklich für Null-Toleranz." Aus der Glaubenskongregation hieß es auf Bitte um eine Stellungnahme zu Collins Brief, der Kardinal sei aktuell außer Haus. Ob und wie er nach seiner Rückkehr antwortet, bleibt spannend.