"Es gibt Anzeichen dafür, dass wir uns im Blick auf die Geschichte unserer Kirche in Deutschland in einer Übergangssituation befinden." Mit diesen Worten wandten sich die katholischen Bischöfe in Deutschland vor zehn Jahren, am 17. März 2011, an die Gemeinden zwischen Flensburg und Passau. In dem Schreiben luden sie zu einem "Gesprächsprozess" ein, der sich über fünf Jahre erstrecken sollte.
Bekanntwerden des Missbrauchsskandals
Ein wichtiger Auslöser war das Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche Anfang 2010. Im Herbst desselben Jahres formulierte der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, die Idee eines breit angelegten Dialogs zwischen Bischöfen und Laien. "Wir werden über die Themen sprechen, die für das Leben der Kirche in Deutschland von besonderer Dringlichkeit sind", kündigte er in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) an.
Vor seinen Mitbrüdern hatte der sonst eher zurückhaltend auftretende Erzbischof von Freiburg deutliche Worten gefunden. "Man sagt über die Kirche - und meint oft konkret uns Bischöfe -, wir würden zu sehr als Wissende und Lehrende und zu wenig als Lernende auftreten", so Zollitsch. "Man sagt, unsere eigene Lebenswelt sei zu weit entfernt von der Lebenswelt der Menschen." Das war rund ein halbes Jahr, bevor die Bischöfe in ihrem Brief die Eckdaten zu der Initiative bekanntgaben.
Ein Kernelement des Gesprächsprozesses bildeten jährliche Versammlungen von rund 300 Vertretern kirchlichen Lebens, die etwa über eine stärkere Beteiligung von Frauen oder das Verhältnis von Priestern und Laien diskutieren sollten. Mit im Boot: das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) als höchstes repräsentatives Gremium der katholischen Laien in Deutschland.
Dessen damaliger Präsident Alois Glück schätzte in einem KNA-Interview kurz vor der Auftaktveranstaltung im Juli 2011 in Mannheim die Ausgangslage wie folgt ein: "Es gibt sowohl unter den Bischöfen als auch unter den Laien eine Gruppe von Bewahrern und solche, die einen neuen Aufbruch wagen wollen."
Sprung in die Gegenwart
Spätestens an dieser Stelle drängt sich ein Sprung in die Gegenwart auf, zum Synodalen Weg zur Zukunft kirchlichen Lebens. Auch bei dieser Initiative ringen Reformer und Bewahrer um die Zukunft von Kirche. Wie beim Dialogprozess bildeten beim Synodalen Weg die durch sexuellen Missbrauch ausgelösten Erschütterungen den Ausgangspunkt - und in beiden Fällen halten Bischöfe und ZdK das Ruder gemeinsam in der Hand.
Bei näherem Hinsehen ergeben sich weitere Parallelen: die Beteuerungen, keinen deutschen Sonderweg einzuschlagen, gab es ähnlich schon vor zehn Jahren. Und auch damals warnte der Papst davor, sich in Strukturdebatten zu verlieren: Der Gesprächsprozess müsse ein geistlicher Weg der Erneuerung sein, forderte Benedikt XVI.
Das dazu passende Stichwort seines Nachfolgers Franziskus lautet: Neuevangelisierung.
Der Dialogprozess endete im September 2015 in Würzburg. Inzwischen hatte der Vorsitz der Bischofskonferenz von Erzbischof Zollitsch auf den Münchner Kardinal Reinhard Marx gewechselt. Beide betonten, das letzte Treffen sei kein Schluss-, sondern ein Doppelpunkt. Das Gespräch zwischen Laien und Bischöfen müsse weitergehen.
Reform des kirchlichen Arbeitsrechts
Zu den konkreten Ergebnisse zählte Marx unter anderem eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts. Ein Blick auf den Synodalen Weg und seine vier zentralen Themen Macht, priesterliche Lebensform, katholische Sexualmoral und Rolle der Frau zeigt: Viele drängende Fragen harren auch zehn Jahre nach Beginn des Dialogprozesses einer Antwort. Ein Grund, weswegen der Synodale Weg eine höhere Verbindlichkeit bei seinen Beschlüssen anstrebt.
Eine Befürchtung, die die Bischöfe in ihrem Brief 2011 formulierten, hat insbesondere durch die Sozialen Medien sogar noch an Schärfe gewonnen: "Wir sehen die reale Gefahr, dass wir uns in unserer Kirche so zerstreiten, dass Brücken abgebrochen und bestehende Einheit aufgegeben werden", hieß es seinerzeit. "Auf Barrikaden lässt sich bekanntlich schlecht miteinander reden."