DOMRADIO.DE: "Hilfe zur Selbsthilfe" ist ein altes Prinzip in der Entwicklungszusammenarbeit. Ist das auch der Grundgedanke hinter Ihrem neuen Modell?
Johannes Seibel (Leiter der Stabsstelle Presse und Kommunikation bei Missio): Ich würde das etwas anders formulieren. Der Grundgedanke ist eigentlich das Prinzip der Subsidiarität. Das ist ja ein altes katholisches Prinzip. Wir haben sogar eine Stelle mit dem Titel "Referentin zur Stärkung der Subsidiarität in der Projektarbeit" eingerichtet, die den Piloten betreut.
DOMRADIO.DE: Erklären Sie kurz, was Subsidiarität bedeutet?
Seibel: Subsidiarität bedeutet, dass wir auf das Wissen und das Können der Menschen vor Ort setzen und nicht alles von Aachen aus wissen können und entscheiden müssen. Das ist der Grundgedanke.
Es ist auch wichtig zu wissen, wie bei uns Anträge zustanden kommen. Wir arbeiten mit der Kirche in Afrika, Asien und Ozeanien zusammen. Die wissen dort, dass sie bei uns Anträge für Ausbildung, Seelsorge, Sozialarbeit oder Infrastruktur stellen können. Die Anträge werden dann bei uns in der Zentrale in Deutschland geprüft, entschieden und in Kommunikation mit den Partnern abgewickelt.
Aber wir merken, dass sich mit der Globalisierung auch die Kirche globalisiert, zur Weltkirche wird und auch die Kirche im globalen Süden eigentlich immer qualifizierter, selbstbewusster und strategisch immer stärker wird. Das ist aus unserer Sicht gut so.
Wir müssen dem in Europa auch gerecht werden und die Verantwortung für unsere Projektarbeit teilen. Das ist eine Win-Win-Situation. Wir profitieren beide, wenn wir die Globalisierung auch bei uns in der kirchlichen Zusammenarbeit, in der Missionsarbeit ernstnehmen.
DOMRADIO.DE: Warum ist das überhaupt sinnvoll, dass Leute in den betreffenden Ländern vor Ort die Projekte genau unter die Lupe nehmen, prüfen und gegebenenfalls bewilligen?
Seibel: Die Mitarbeitenden der Kirchen im globalen Süden leben vor Ort, sie kennen die Lebenssituation, sie kennen die Akteure, mit denen wir zusammenarbeiten oder zusammenarbeiten wollen. Sie verfügen damit über Informationen, die wir allein in Deutschland nicht haben, die man auch nicht bekommt, wenn man vielleicht mal für drei Wochen in ein Land reist.
Wir wollen auch kein Büro in einem Partnerland eröffnen und das dann mit einem Spezialisten aus Europa besetzen. Vielmehr brauchen wir die Expertise der Betroffenen vor Ort. Dann können die Projekte auch passgenauer, zielgerichteter und wirksamer aufgestellt werden. Das ist unsere Überzeugung.
DOMRADIO.DE: Sie erproben das alles gleich in mehreren afrikanischen Ländern. Mit welchen Leuten machen Sie das?
Seibel: Wir erproben das in der Demokratischen Republik Kongo, in Burundi, in der Zentralafrikanischen Republik. Das sind Laien, Ordensfrauen oder Priester, die an den Bischofskonferenzen oder Ordensobernkonferenzen angedockt sind. Wir haben das mit der Kirche vor Ort besprochen. Wir haben qualifizierte Menschen für dieses gemeinsame Projekt ausgewählt. Wir finanzieren diesen Piloten auch gemeinsam.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Mitglieder dieser Regionalteams bei Missio Aachen in einer Art Crashkurs auf die neuen Aufgaben vorbereitet. Was stand da im Mittelpunkt?
Seibel: Sie lernten bei uns zunächst die Arbeit der Auslandsabteilung, des Spenderservice, der Pressestelle kennen. Wir haben ihnen unsere Arbeit vorgestellt. Sie haben jetzt auch einen Begriff von den Anforderungen an ein Projekt, die wir in Deutschland haben.
Es gibt bei uns auch gewisse Gesetze, die beachtet werden müssen. Wir machen Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Der Spenderservice hat bestimmte Anforderungen an Projekte. Auch wichtig für sie war es, die Situation der Kirche in Deutschland insgesamt kennenzulernen.
Der zweite wichtige Schwerpunkt war, das EDV-System kennenzulernen. Denn heute geht Projektzusammenarbeit digital per Email, per Internet und nicht mehr per Post und Brief.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie schon das Stichwort Digitalisierung genannt. Die spielt eben für die Auslandsprojekte natürlich auch eine immer größere Rolle und auch da sollen die Regionalteams unterstützend wirken.
Seibel: Heute werden Anträge größtenteils in unser System per Internet hochgeladen. Im globalen Süden ist in diesem Bereich die Qualifizierung zum Teil größer als in Deutschland. Die werden dann digital bearbeitet. Wir haben da immer die Möglichkeit, auf den Stand der Dinge zu gucken.
Aber gerade Partner, die in wirtschaftlich und politisch prekären Regionen leben, die wir besonders erreichen wollen, haben nicht immer die Möglichkeiten. Sie haben auch nicht immer die Expertise für diese digitale Arbeit. Auch hier sollen die Regionalteams genau diese Partner unterstützen, die Hilfe brauchen, um in dieser digitalisierten Projektzusammenarbeit dabei sein zu können.
DOMRADIO.DE: Wollen Sie das in absehbarer Zeit auch auf andere Bereiche übertragen?
Seibel: Das ist denkbar. Ein anderes Modell praktizieren wir bereits in Syrien. Da gibt es einen Projektkoordinator, der selbst aus Syrien kommt und in Homs lebt. Der koordiniert die Projekte im Libanon und Syrien. Das ist ein Modell.
Dann könnten wir uns auch noch andere Modelle vorstellen. Die Aufgabe ist es, dies mit den Erfahrungen, die wir sammeln, im Gespräch mit den Partnern zu evaluieren.
Wir sprechen mit den Partnern, welche Modelle es noch gibt. Das Ziel ist es, in den nächsten drei bis fünf Jahren genügend Erfahrungen zu sammeln, damit diese Subsidiarität und die Teilung der Verantwortung für unsere Projekte mit den Partnern immer stärker voranschreiten kann und auch dann immer passgenauer erfolgen kann. Das ist ein offener Prozess. Wir sind auf dem Weg. Aber wir sind sehr gespannt, wie es zu Ende geht.
Das Interview führte Hilde Regeniter.