Übernächtigt sitzen die sechs jungen Frauen und Männer am Frühstückstisch im MSC-Welthaus der Hiltruper Missionsschwestern. Alle haben ein Jahr als Missionar auf Zeit (MaZ) verbracht. Vier Tage lang lassen sie nun beim Rückkehrer-Seminar ihr "MaZ"-Jahr Revue passieren, erzählen, was gut und was weniger gut gelaufen ist und wie es sich anfühlt, wieder in Deutschland zu sein. Obwohl sie die letzten zwölf Monate in verschiedenen Weltregionen verbracht und unterschiedliche Kulturen erlebt haben, ähneln sich ihre Erfahrungen in vieler Hinsicht. Alle haben hautnah Armut, Krankheit und Benachteiligung erlebt, haben Freundschaften geschlossen und Offenheit und Gastfreundschaft erfahren.
Erfahrung fürs Leben
Für Ronja und Jeremias, die im indischen Bangalore HIV-infizierte Kinder unterrichteten, war der Tod eines Kindes eine bittere Erfahrung. Maria ging in Lima/Peru zusammen mit ihren Kolleginnen aus dem "Casa Mujer" (Frauenhaus) bei einer Demonstration gegen Machismo und Gewalt gegen Frauen auf die Straße. Johannes erlebte in Paraguay die harten Arbeitsbedingungen weiter Teile der Bevölkerung. In einem Punkt waren sich alle einig: Es war ein einschneidendes Jahr, eine Erfahrung fürs Leben.
"Missionar auf Zeit" - unter diesem Motto bieten rund 30 missionarische Ordensgemeinschaften jungen Erwachsenen die Möglichkeit zu Arbeitseinsätzen in Süd- und Nordamerika, Asien, Afrika und einigen europäischen Ländern. Als "Lerndienst" bezeichnen die Steyler Missionsschwestern diese Form des interkulturellen Austauschs. "Ich lerne mehr, als die anderen von mir lernen," bestätigt Jeremias. "Mission" übersetzt er für sich mit "Sendung".
"Gesendet werden und sich senden lassen," ergänzt Jana Teismann, die im Welthaus-Büro zusammen mit Schwester Anette Hemming für die Hiltruper Missionsschwestern die MaZ-Arbeit koordiniert. Die konkrete Arbeit stehe dabei nicht im Vordergrund. "Ein 18-Jähriger, noch nicht angelernter Abiturient ist am Anfang eher ein Klotz am Bein", erklärt Teismann ganz realistisch.
Es gehe bei diesem Lernprozess um christliche Werte, sagt Silvia, um Offenheit, Respekt und Empathie. Mit ihrem Glauben habe sie sich im MaZ-Jahr "noch einmal anders auseinandergesetzt" und in der Wohngemeinschaft mit zwei Hiltruper Missionsschwestern neue Impulse bekommen. Die Bereitschaft, sich auf ungewohnte Lebensverhältnisse einzulassen, war unabdingbare Voraussetzung für die Aussendung, in mehreren Seminaren wurden die jungen Leute darauf vorbereitet. Sie erfuhren viel über ihre jeweiligen Einsatzländer, mussten sich in einer Essensausgabe für Obdachlose in die Schlange einreihen und in einer landwirtschaftlichen Kommunität mitarbeiten.
Vieles anders als erwartet
Vor Ort war dann aber doch vieles anders als erwartet, vor allem die Sprache war anfangs für manche ein Problem: Johannes fühlte sich für seinen Einsatz in einem Heim für Straßenkinder in Paraguay gut gerüstet, denn Spanisch konnte er bereits. Das aber klingt in Südamerika anders als in der Schule, und außerdem wird dort vielfach die paraguayische Sprache Guarani gesprochen. Silvia wiederum hatte, in Vorbereitung auf ihren Einsatz, Rumänisch gelernt - die Kinder in ihrem Einsatzort nahe der ungarischen Grenze sprachen untereinander aber Ungarisch.
Die Entsendeorden erwarten zwar, dass die jungen Leute sich in ihrem Lebensstil auf die Verhältnisse vor Ort einstellen; sie wissen aber auch, dass deutsche Gewohnheiten sich nicht einfach zurückschrauben lassen. Die MaZler bekommen deshalb ein Taschengeld, das es ihnen ermöglicht, Reisen im Land zu unternehmen. Diese Möglichkeit haben auch alle genutzt. Jeremias etwa reiste nach Kochi, um mit anderen Freiwilligen Neujahr zu feiern und erlebte eine Gastfreundschaft, die ihn schier überwältigte.
Eine Familie, die sie bei der Gelegenheit kennenlernten, lud die Jugendlichen ein, das Fest mit ihnen zu feiern - Jeremias staunt immer noch: "Wir kannten die gerade mal ein paar Stunden, und schon laden sie uns ein." Felicitas und Maria verbrachten das Weihnachtsfest bei einer peruanischen Familie. "Sogar am Heiligen Abend, nach der Messe, sprachen uns Bekannte an", berichtet Maria.
"Wisst ihr schon, wo ihr heute Abend hingeht? Kommt doch zu uns." Die beiden jungen Frauen waren sich sicher: In Deutschland wäre ihnen das nicht passiert.
Hundert Freiwillige im Jahr
Die Familie spiele eine herausragende Rolle in Peru, beobachtet Felicitas. Das hat auch strukturelle Gründe, denn auf den Staat können sich die Menschen nur begrenzt verlassen. In Bildung und Gesundheitswesen sei der Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Bereich riesig, bestätigen gleich mehrere Teilnehmer.
Privatschulen und private Krankenhäuser seien den staatlichen Einrichtungen in Kompetenz und Ausstattung klar überlegen - aber längst nicht jeder kann sie sich leisten. Deshalb seien private Spender so wichtig, ergänzt Schwester Annette. "Riesige Gebiete wären sonst unterversorgt."
Rund hundert Freiwillige reisen jedes Jahr über die deutschen Orden als MaZ in die weite Welt; die meisten sind Abiturienten. Viele Ehemalige fühlen sich auch noch Jahre später mit MaZ verbunden.
Beinahe 1.000 Namen hat Jennifer Mumbure, die für missio in Kooperation mit den Entsendeorden Veranstaltungen für Rückkehrer organisiert, in ihrer Datenbank. Für sie alle gilt: einmal MaZler, immer MaZler.