Mit einer Spendenaktion soll der Nachlass Dietrich Bonhoeffers gerettet werden

Wettlauf gegen den Zerfall

Die Berliner Staatsbibliothek will mit einer Spendenkampagne den Nachlass des Theologen und NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer retten. Knapp 20 Prozent des insgesamt über 10.000 Blätter sind vom "Säurefraß" befallen oder auf andere Weise beschädigt und müssen dringend restauriert werden.

 (DR)

Auf den ersten Blick sieht der dicke Blätterstapel nicht besonders angegriffen aus. Doch Jutta Weber von der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek zeigt auf das behelfsmäßige Klebeband, mit dem die vielen hundert Seiten zusammengehalten werden. Sie deutet auf unzählige Risse und Flecken, auf das brüchige Papier und auf unleserlich gewordene Abschnitte.

Weber hält die 1927 eingereichte Dissertation von Dietrich Bonhoeffer in den Händen. Seit 1996 besitzt die Staatsbibliothek den Nachlass des Theologen und NS-Widerstandskämpfers. Die einzigartigen Dokumente - insgesamt über 10.000 Blätter - sind nun akut vom Verfall bedroht.

Neben Gebrauchsspuren und schlechter Papierqualität ist es Tinten- und Säurefraß sowie Rost von Heftklammern, die den Papieren zusetzen. Etwa ein Fünftel des Nachlasses muss in den nächsten Monaten restauriert werden, sonst ist es verloren. Die Fachleute sprechen von der notwendigen "physischen Stabilisierung der Dokumente".

Kosten von mindestens 40.000 Euro
Dazu veranschlagt die Staatsbibliothek Kosten von mindestens 40.000 Euro, die über Spenden finanziert werden sollen. Bereits vor Jahren konnten auf diese Weise in ungleich größerem Ausmaß unschätzbare Notenblätter von Werken Johann Sebastian Bachs gerettet werden. Der Auftakt für die Spendenkampagne unter dem Motto "Kulturgut Bewahren" ist für den 4. Februar geplant, dem Geburtstag Bonhoeffers.

Die Generaldirektorin der Staatsbibliothek, Barbara Schneider-Kempf, spricht von einem "der bedeutendsten Nachlässe zur Geschichte der Theologie und des deutschen Widerstands". Deshalb sollen sämtliche Dokumente mit Hilfe der Spender auch digitalisiert werden, anschließend sollen sie per Internet weltweit verfügbar sein.

Der Nachlass umfasst das ganze Leben des in Breslau geborenen evangelischen Theologen: von seiner Jugend in Berlin über sein Studium in Tübingen, Rom und Berlin und weitere Lebensstationen wie New York und London bis hin zu seinem Engagement in der Bekennenden Kirche und im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. "Liebe Eltern! Vor allem müsst Ihr wissen und auch wirklich glauben, dass es mir gut geht", heißt es in einem Brief schließlich, den Bonhoeffer 1943 wenige Tage nach seiner Verhaftung durch die Gestapo und zwei Jahre vor seiner Hinrichtung im KZ Flossenbürg schreibt.

"Er war die Leitfigur des Protestantismus im 20. Jahrhundert"
Dass Briefe, Manuskripte, Mitschriften von Vorlesungen, Zeugnisse sowie Ausweise, Postkarten und Fotos die nationalsozialistische Gewaltherrschaft überlebt haben, ist vor allem dem Nachlassverwalter und Freund Bonhoeffers, Eberhard Bethge, zu verdanken. So hat Bethge auch in bester Absicht über 1.000 Blätter laminiert, um weitere Gebrauchsspuren zu verhindern. Unter der Kunststoffschicht finden Jahrzehnte später aber chemische Zersetzungsprozesse statt, denen die Restauratoren derzeit noch ohnmächtig zuschauen.

Die Gefahr der Zerstörung einzelner Dokumente durch "Delaminierung" sei noch zu groß, unterstreicht Schneider-Kempf. Derzeit wird noch nach einem "geeigneten Verfahren" gesucht, das die Autographen sichern soll. Das ist offenbar auch nötig, denn die Nachfrage von Wissenschaftlern und Verehrern Bonhoeffers nach dessen persönlichen Schriften ist groß. Vor allem aus den USA kommen mehrmals im Jahr ganze Reisegruppen, um den Nachlass in Augenschein zu nehmen.

"Er war die Leitfigur des Protestantismus im 20. Jahrhundert", steht zur Erklärung im Kampagnenmaterial der Staatsbibliothek, "und gewiss der weltweit bekannteste und am meisten verehrte deutsche Widerstandskämpfer". Bis es soweit war und Bonhoeffer nicht mehr als "Vaterlandsverräter" geschmäht wurde, vergingen aber Jahrzehnte.