Mit Lärm-Fasten der Stille wieder mehr Raum geben

Besinnung auf einen besonderen Sinn

Menschen sind heute von vielen Lärmquellen umgeben, manchmal ist das unvermeidbar. Sich bewusst der Stille auszusetzen, fällt allerdings schwer. Warum in der Fastenzeit nicht einmal bewusst auf Nebenbei-Berieselung verzichten?

Autor/in:
Angelika Prauß
Eine junge Frau sitzt mit einem Laptop am Fenster eines Gangs zwischen Messehallen während der Buchmesse in Frankfurt / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eine junge Frau sitzt mit einem Laptop am Fenster eines Gangs zwischen Messehallen während der Buchmesse in Frankfurt / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Die Nachrichtensendung morgens beim Zähneputzen, das Gedudel im Autoradio, die nebenbei laufende Daily-Soap beim Bügeln oder die Lieblingsmusik der abendlichen Laufstrecke – viele Menschen bekommen fast den ganzen Tag nebenbei etwas auf die Ohren. Zugleich sehnen sich viele nach Ruhe und Entspannung. Sich bewusst der Stille auszusetzen, fällt dennoch offenbar schwer. Eine Spurensuche, nicht nur zur Fastenzeit.

Das größte Problem bei dem Wunsch nach Stille: Anders als ein Radio kann man den Hörsinn nicht einfach abschalten; das Ohr ist immer auf Empfang. Verkehrslärm, Stimmengewirr, Gespräche am Nachbartisch oder der tropfende Wasserhahn lassen sich nur schwer ausblenden. Kein Wunder, schließlich ist das menschliche Gehör in der Lage, rund 400.000 verschiedene Töne zu erkennen.

Immer empfangsbereit 

"Anders als die Augen sind unsere Ohren immer empfangsbereit. Unerwünschte Geräusche sind deshalb störend, wir können die Ohren nicht einfach willentlich schließen", erklärte Akustikforscher Andre Fiebig der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Wenn wir Geräusche permanent verarbeiten müssen, führt das zur Ausschüttung von Stresshormonen."

Symbolbild: Lärm in der Nacht / © Tero Vesalainen (shutterstock)
Symbolbild: Lärm in der Nacht / © Tero Vesalainen ( shutterstock )

Deshalb kann es hilfreich sein, diesen besonderen Sinn wieder mehr wertzuschätzen – durch bewussten Verzicht auf überflüssige Geräuschquellen. "Wir sind es gewohnt, dass wir, wo wir auch hingehen, Zivilisationsgeräuschen, einer musikalischen Dauerbeschallung und einer optisch nicht weniger 'lauten' Bilderflut ausgesetzt sind", bricht der Trierer Kirchenmusiker Axel Simon eine Lanze für das sogenannte Ohrenfasten.

Akustische Umweltverschmutzung

"Häufig nehmen wir das gar nicht mehr wahr, wundern uns aber darüber, dass uns Konzentration schwerfällt und wir schnell erschöpft sind", schreibt der Referent für Kirchenmusik am Deutschen Liturgischen Institut in der Zeitschrift "Gottesdienst". Die Fastenzeit biete einen Raum, "dieser akustischen Umweltverschmutzung" zu entgehen.

Die Kirche kennt am Ende der Fastenzeit das Ohrenfasten: den Verzicht auf die Kirchenmusik nach dem Gloria bei der Gründonnerstagsliturgie und der Osternachtsfeier. Umso berauschender werde dann der Festjubel an Ostern, betont Simon. Schon vorher, in der vorösterlichen Fastenzeit, wird in der Messe die Orgel meist zurückgenommener und nur zur Begleitung des Gemeindegesangs gespielt.

Innere Freiheit

Einer Stille-Challenge stellen sich auch Menschen, die sich etwa im "Haus der Stille" im mittelhessischen Kloster Gnadenthal auf ein "Stille-Wochenende" einlassen. Menschen aller Herkunft und Altersgruppen nutzten dieses Angebot, erklärt Birgit-Salome Wiedenmann, Schwester der veranstaltenden, konfessionsverbindenden Jesus-Bruderschaft. Der Alltag und das stressige Berufsleben förderten das Gefühl, funktionieren zu müssen und nur noch "irgendwie über die Runden zu kommen". Da könne es hilfreich sein, "von den Anforderungen und dem hohen Tempo innerlich Abstand zu nehmen". In der Stille erlebe man eine "innere Freiheit – ich muss nichts leisten und keine Ergebnisse erzielen".

Leer geräumtes Kirchenschiff christliche Meditation und Spiritualität / © Harald Oppitz (KNA)
Leer geräumtes Kirchenschiff christliche Meditation und Spiritualität / © Harald Oppitz ( KNA )

Wer sich darauf einlasse, setze sich einer gewissen Leere aus und müsse es auch aushalten, "wenn Unangenehmes hochkommt – Themen, die man sonst wegdrückt und zum Beispiel mit Aktivität von sich fern hält". Damit die aufsteigenden Themen sich im Kopf nicht in einer Endlosschleife festsetzten, rät Schwester Birgit-Salome dazu, die Gedanken aufzuschreiben.

"Begleitete Stille"

Ihr selber helfe bei negativen Gedanken und Gefühlen zudem die Vorstellung, nicht gleich alles bewerten und mit allem fertig werden zu müssen. "Ich schau es mir erstmal an und überlege, auf was es mich tiefer hinweisen möchte – statt sofort zu reagieren. Ich lasse es zu und nehme es an." So könne sie "mit Gottes Hilfe erahnen, dass Belastendes leichter und verwandelt wird". Bei den Stille-Wochenenden würden zudem begleitende Gespräche angeboten.

Auf "begleitete Stille" setzt auch die Benediktiner-Abtei Königsmünster in Meschede. Jonas Wiemann leitet dort das "Haus der Stille". Denn in der Stille "kommt alles ans Licht – selbst das, was wir innerlich in die letzte Ecke gepackt haben", weiß der Benediktiner. Belastende Themen, die hochkommen, müssten die Besucher nicht mit sich selbst ausmachen, sondern können sie so ins Gespräch mit erfahrenen Begleitern bringen.

Sehnsucht nach Ruhe

Gerade in einer Zeit, in der "der Lärm der Zeit" und die modernen Medien Menschen fast überall begleiteten, gebe es eine große Sehnsucht, Stille wieder mehr zu spüren. Das zeige sich auch an der Kursnachfrage in Königsmünster: "Über den Glauben reden und etwas gesagt zu bekommen, wie Gott ist, ist weniger gefragt." Vielmehr wollten die Menschen Gott im Schweigen selbst erfahren.

Um auf Tuchfühlung mit der Stille und mit Gott zu kommen, sei es zu Beginn hilfreich, "Räume zu haben, die äußerlich Stille bieten" – wie das schnörkellose "Haus der Stille" aus Sichtbeton in Meschede. "In unserem Haus gibt es keine Ablenkungen, keine Bilder, nur die leisen Farben grau und weiß – alles andere regt innerlich an und lenkt ab."

Über alle Sinne erfahrbar

Stille ist für Wiemann mehr als ein akustisches Schweigen – sie ist über alle Sinne erfahrbar. "In einer vollgestopften Wohnung kann es akustisch leise sein und trotzdem zu viel anregen", sagt der Stille-Experte. Wer aber "die Kunst der Stille beherrsche", könne einen inneren Herzensraum finden und so überall in die Stille eintauchen.

Zu diesem Schluss kommt auch Erling Kagge, der in seinem philosophischen Essay "Stille" über seine Suche berichtet. Sie führte ihn in die entlegensten Gegenden der Welt – an die eisigen Pole der Erde, aufs Meer und den Mount Everest. Ohne Ablenkung fand der Weitgereiste die interessanteste Stille schließlich in sich selbst. "Die Stille, die mir vorschwebt, findest du dort, wo du bist, und wenn du es willst in deinem Kopf. Ganz ohne Kostenaufwand." Kagges Fazit: "Man kann Stille auch zu Hause in der Badewanne erleben".

Fünf Minuten am Tag 

Notfalls auch auf dem "stillen Örtchen" oder an der Bushaltestelle, findet Benediktiner Wiemann. Um erste Erfahrungen mit der Stille zu machen, empfiehlt er ganz niederschwellig, sich jeden Tag fünf Minuten Zeit zu nehmen, die Augen zu schließen und sich ganz auf den Atem zu konzentrieren. Allein dieses Ein- und Ausatmen, das Empfangen und Loslassen könne ein tiefes Gebet sein. Das sei selbst im stressigsten Alltag möglich.

Tipps für mehr Stille im Leben

Der Alltag ist voller Lärm und störender Geräusche. Viele Menschen sehnen sich da nach mehr Ruhe. Eine Schwester der Jesus-Bruderschaft und ein Benediktiner geben Tipps, wie das Eintauchen in die Stille gelingen kann:

Stille und Entspannung im Alltag / © Alena Ozerova (shutterstock)
Stille und Entspannung im Alltag / © Alena Ozerova ( shutterstock )
Quelle:
KNA