DOMRADIO.DE: In meiner Großelterngeneration gab es noch das Feindbild von Katholiken gegenüber Protestanten. Konfessionsübergreifende Ehen waren ziemlich ungewöhnlich. Davon sind wir heute aber weit entfernt, oder?
Dr. Martin Bock (Leiter der Melanchton-Akademie und Ökumene-Beauftragter des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region): Ja, ich glaube davon sind wir wirklich weit entfernt. Ich weiß aber auch noch, als ich in Pulheim Gemeindepfarrer war, dass mir immer von dem berühmten Strich auf den Schulhöfen erzählt wurde, worüber sozusagen keiner auf die andere Seite kommen konnte. Aber davon sind wir weit entfernt.
Es gibt ganz viele Familien, Ehepaare, Lebensgemeinschaften, wo die Konfessionen sich nicht nur verbunden haben, sondern vielleicht manchmal in ihrem jeweiligen Hintergrund oder Profil gar nicht mehr so klar sind. Das ist auf jeden Fall eine große Chance. Ich glaube, viel Ökumene spielt sich inzwischen auch am Kaffeetisch zu Hause ab.
Ich bin selbst mit einer Katholikin verheiratet. Wir ziehen sowohl für unsere Spiritualität als auch für unsere Gespräche nur Positives daraus, dass wir über den eigenen Tellerrand hinweg gucken können. Das funktioniert auch.
DOMRADIO.DE: Und das auch schon ein paar Jahre.
Bock: Genau, das tut es schon seit ein paar Jahren (lacht). Wir haben auch drei Kinder, die inzwischen teilweise schon erwachsen sind und diese Erfahrung auch zum Teil mitnehmen. Natürlich ärgert uns auch vieles in der einen oder anderen Konfession. Ich glaube auch, dass es gut ist, dass es diese unterschiedlichen Räume des Christseins gibt, das klassisch Evangelische, das Katholische, das Römisch-Katholische und auch die vielen Kirchen und Konfessionen, die es darüber hinaus gibt, von denen wir vielleicht auch zu wenig wissen.
DOMRADIO.DE: Die Ökumene ist ungefähr seit den 1960er/70er Jahren gewollt, von beiden Seiten. Auch gerade dem aktuellen Papst ist die Einheit der Christen ein sehr wichtiges Anliegen, oder?
Bock: Ja, das ist so. Ich glaube, seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist das eine durchgehende Linie, ganz von oben gewollt, auch von evangelischer Seite. Die ökumenische Bewegung, die es noch viel länger gibt, nämlich seit dem 19. Jahrhundert, kann auch nur aus dieser Kraft und aus diesem Rückenwind heraus leben. Das gilt genauso für die evangelischen Christinnen und Christen.
Es hat immer wieder kleinere Wetterwechsel gegeben. Aber der evangelisch-katholische Arbeitskreis für Ökumene in Köln, der den Ökumenetag hier vorbereitet hat, den es seit über 30 Jahren gibt, lebt im Grunde auch aus dem Engagement von Ehrenamtlichen, die seit den 1960er und 70er Jahren sich berufen oder "ermächtigt" fühlen, die Brücken, die es gibt, auszubauen, die Zusammenarbeit vor Ort zu stärken und auch von ehrenamtlicher Seite aus immer wieder neue Ideen zu haben. Das wird auch weitergehen.
Aber es wird sich auch verändern, weil das Christentum sich in Europa verändert. Es wird kleiner. Wir reden inzwischen nicht mehr unbedingt von Volkskirchen, sondern Kirchen sind große Minderheiten, wo es auch um Selbstvergewisserung geht, wo es um den Aufbau von neuen Strukturen geht, größere Räume, das verbindet katholische und evangelische Gemeinden auch. Das ist alles nicht mehr so heimelig, nicht mehr so normal.
Ökumene hat inzwischen auch die Aufgabe, diese abbrechenden, diese schmerzhaften Faktoren ein Stück aufzufangen und dafür zu sorgen, dass es hoffentlich in Zukunft immer noch einen Kirchturm, einen kirchlichen Ort im Veedel vor Ort gibt. Das kann nicht mehr jede Konfession leisten, aber wir können viel dafür tun, dass wir das zusammen machen.
DOMRADIO.DE: Vor etwas mehr als 500 Jahren gab es durch Martin Luther die Abspaltung von der katholischen Kirche. Sind wir von der Wiedervereinigung noch sehr weit entfernt? Noch weitere 500 Jahre?
Bock: Ja, mit dem Begriff "Abspaltung" bin ich nicht so glücklich. Ich glaube, wir haben vor 500 Jahren eine Reformation erlebt, die sogar noch länger zurückreicht. Das Wort Reformation hat nicht Martin Luther oder andere Reformatoren erfunden. Das war eine Reformbewegung, die das ganze Mittelalter schon gärte und im 16. Jahrhundert sich Bahn brach.
Gott sei Dank haben wir 2017 dieses Reformationsjubiläum so gefeiert, dass sich auch die katholische Kirche daran intensiv beteiligen konnte, sie hat ein Christus-Fest mitgefeiert. In dieser Spur, orientiert an der Nachfolge Christi, gestalten wir die Zukunft des Christseins und finden gemeinsam neue Perspektiven. Jede Kirche bringt da ihre Stärken ein und die anderen Kirchen spüren das. Sie spüren vielleicht auch die Schwächen der jeweils anderen.
Ich glaube, das ist ein Lernprozess geworden, bei dem es nicht um Wiedervereinigung geht, sondern um Präsenz des Christseins und spirituelle Räume und Möglichkeiten, Christsein zu lernen für die nächsten Generationen und das auch in die Gesellschaft zu geben. Wir haben gemeinsame Herausforderungen. Es geht darum, dass wir da besser werden, dass das alltäglicher wird, dass sich das aber auch verändert. Eine Wiedervereinigung der Kirchen ist überhaupt nicht angesagt, so glaube ich.
DOMRADIO.DE: Was ist denn an Zusammenarbeit denkbar zwischen evangelischer und katholischer Kirche? Zum Beispiel das Teilen von Gotteshäusern?
Bock: Ja, das Teilen von Gotteshäusern ist ein konkretes Projekt, was auch hier im Rheinland, in Westfalen zwischen den evangelischen und katholischen Bistümern vorangebracht wird. Es gibt einen Text, der eine wunderbare Überschrift hat: "Wenn wir alle zusammenziehen?!"
Dahinter steht die Überlegung, dass man Kirchengemeinderäte und Presbyterien darauf stoßen muss, dass es eine Chance geben kann, bevor eine Kirche, ein Gemeindezentrum vor Ort aufgegeben wird. Dass man schaut, was können wir mit den Christinnen und Christen der anderen Konfession hier auf die Beine stellen. Dazu zählen das Teilen von Gemeinderäumen, das Teilen von Ressourcen, die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, die Erziehungsprojekte, die wir auf den Weg bringen. Dazu gehört aber auch, angesichts einer Bedrohung unserer Demokratie, ein gemeinsames Einstehen für Grundwerte des Lebens, für das, was wir gestern mit dem Geburtstag des Grundgesetzes gefeiert haben.
Das sind alles keine Sonntagsfragen mehr, sondern Fragen, in denen wir Zusammenhalten müssen. Wir müssen für unsere jüdischen Geschwister ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus setzen. Das sind alles keine Dinge, die man auf Papier drucken sollte, sondern die man lebt.
DOMRADIO.DE: Ist noch eine Teilnahme am 15. Ökumenetag am Samstag im Citykirchenzentrum des Antoniterquartiers möglich?
Bock: Ja, das Antoniter City Zentrum ist so großzügig, dass wir gerne noch Menschen empfangen. Sie können sich noch bei uns in der Melanchton-Akademie anmelden, dann haben wir eine bessere Planungsgrundlage. Aber jeder kann auch am Samstag einfach ab 9.30Uhr in die Schildergasse kommen.
Das Interview führte Tobias Fricke.