Das sagte Kardinal Kurt Koch in einem Interview des Online-Portals "communio.de" (Freitag): Das Dokument halte zwar fest, dass es keine volle Kircheneinheit gebe, es werde aber "an keiner Stelle gesagt, was man sich unter dieser vollen Einheit vorstellt und wie der Prozess, der im Dokument beschrieben wird, auf dieses Ziel hinführen kann".
Ängstlichkeit gegenüber Einheit
Wenn in dem Dokument von Einheit gesprochen werde, werde sogleich zurecht darauf hingewiesen, dass damit nicht Einheitlichkeit gemeint sein könne. Andererseits werde die Gefahr eines Umschlagens von Vielfalt in einen puren unverbundenen Pluralismus nicht gesehen. "Mir scheint, dass es in diesem Dokument eine Vorliebe für Vielfalt und eine Ängstlichkeit gegenüber Einheit gibt. Hier wäre ein besseres Gleichgewicht angebracht", so der Präfekt des römischen Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen.
Koch begrüßte zugleich die in dem Dokument festgehaltene Selbstverpflichtung der beiden Kirchen, vor wichtigen Entscheidungen den Dialog zu suchen. Tatsächlich zeigten sich gerade in ethisch umstrittenen Fragen wie etwa Sterbehilfe oder Abtreibung immer häufiger Spannungen, die einen intensiveren Dialog verlangten: "In früheren Jahrzehnten hieß das Leitmotiv in der Ökumene: Glaube trennt, Handeln eint. Heute jedoch müssen wir eher das Gegenteil festhalten."
Man sei sich in vielen Glaubensfragen näher gekommen, dafür gebe es neue Differenzen auf ethischem Gebiet. Damit müsse sich die Ökumene noch stärker befassen - denn wenn die Kirchen in Grundfragen des Lebens und Zusammenlebens nicht mit einer Stimme sprächen, werde "die christliche Stimme in den säkularen Gesellschaften Europas immer schwächer", warnte Koch.
Orthodoxe, Orientalen und Freikirchen stärker in den Blick nehmen
Mit Blick auf die Zukunft rief er dazu auf, Ökumene nicht - wie in dem neuen Papier - auf den Dialog zwischen katholischer und evangelischer Kirche zu begrenzen, sondern auch Orthodoxe, Orientalen und Freikirchen stärker in den Blick zu nehmen.
In dem Papier von Mitte März unter dem Titel "Mehr Sichtbarkeit in der Einheit und mehr Versöhnung in der Verschiedenheit" hatten die beiden großen Kirchen in Deutschland angekündigt, sie wollten künftig häufiger mit einer Stimme auftreten. Es gehe um eine "sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit".