Der Freiburger Fundamentaltheologe Markus Striet kritisierte in einem Interview mit der "Osnabrücker Zeitung" jüngst den Papst in Sachen Coronavirus. Die Bilder, die Franziskus beim Segen "Urbi et orbi" produziert habe, seien zwar beeindruckend, aber die Theologie, die er aufrief, ließe sich vor dem Hintergrund eines naturwissenschaftlich-aufgeklärten Weltbildes kaum noch vermitteln.
Mittlerweile hat sich mit der Corona-Krise aber doch ein ganz anderes gesellschaftliches Symptom herausgebildet, das Verhältnis von Religion und Aufklärung betreffend: Die Virologen sind die neuen Heilsfiguren. Sie sollen die Rolle von Propheten und Schutzpatronen übernehmen; ihre Fakten und Zahlen machen sie zu Hiobsbotschaftern und zu Hoffnungsträgern - je nach Datenkurve.
Es scheint, als hätte in Deutschland das Robert-Koch-Institut zusammen mit dem Bundesverfassungsgericht die Regierungsgeschäfte übernommen - sie haben die Menschen im Wechselspiel zwischen Angst- und Hoffnungsszenarien gefügiger gemacht, als es das Kirchenvolk in früheren Zeiten je war.
Gegen diese Projektionen, die die Arbeit der Virologen in ein metaphysisches Licht rücken und damit überfordern, wehrte sich der Institutsdirektor der Berliner Charite, der Virenforscher Christian Heinrich Maria Drosten. Der Promi-Status macht dem Medien-Liebling enorm zu schaffen - der Begriff Virenkanzler machte die Runde. Er beklagte, dass ihm in einer E-Mail vorgeworfen wurde, letztlich gar für den Suizid des Hessischen Finanzministers Thomas Schäfer mitverantwortlich zu sein.
Sakrale Aufladung
Drosten betonte: Die Wissenschaftler seien keine politischen Entscheidungsträger, sondern lediglich Übermittler von Daten. Aus den Ergebnissen müssen dann die politischen und ökonomischen Schritte entwickelt werden. Auch wenn Drosten schon mit Rückzug aus den Medien drohte - die sakrale Aufladung mit ihren Heldenstilisierungen wird er damit nicht eindämmen können.
Die Suche nach dem Reagenzglas, in dem sich der Covid-19-Impfstoff befindet, ähnelt der nach dem mystischen Heiligen Gral - wer ihn besitzt, gewinnt überirdische Mächte; wer mit diesem Zaubertrank hantiert, wird unversehens zum Hohepriester. Die Funktion der Kirchen verlagert sich unter diesen Vorzeichen auf die Seelsorgearbeit - die alten biblischen Heilsversprechen der Auferstehung scheinen weniger Glaubenszuversicht zu erzeugen als die abflachende Infektionsraten-Kurve.
Der US-amerikanische Wissenschaftstheoretiker C. P. Snow lieferte 1959 mit seinem Werk "Die zwei Kulturen" eine Vergleichsanalyse der geisteswissenschaftlich-literarischen Kultur und der naturwissenschaftlich-technischen Kultur. Die Theologie zählt bei Snow zur Ersteren. Den beiden Denkwelten attestierte er, dass sie sich so diametral entgegenstünden, dass eine Verständigung nicht mehr möglich sei. Die Geisteswissenschaftler sind nach Snow pessimistisch und der Vergangenheit zugewandt. Ihr steht die optimistische, vorausblickende Naturwissenschaft gegenüber.
Snow resümierte: "Der Punkt, an dem zwei Themengebiete, zwei Disziplinen, zwei Kulturen - zwei Galaxien könnte man auch sagen - zusammenstoßen, sollte kreative Gelegenheiten erzeugen. In der Geschichte der geistigen Tätigkeit war dies immer der Ort, an dem es zu einem der Durchbrüche kam. Nun gibt es solche Gelegenheiten. Aber sie existieren sozusagen in einem Vakuum, denn die Angehörigen der zwei Kulturen können nicht miteinander sprechen."
Mittlerweile, das zeigt die in der Corona-Krise weitere Aufwertung der Biowissenschaften, scheint das Himmelreich, wie es die Kirchen als Heilsort predigen, vom schwarzen Loch in der naturwissenschaftlichen Galaxie verschluckt zu werden. Virologen und Politiker impfen uns die soziale Isolierung ein, solange das Serum noch nicht gefunden ist, das uns unsere individuelle Bewegungsfreiheit zurückbringt. Für Christenmenschen nicht nur zu Ostern eine Zumutung, sagte der spanische Philosoph Ortega y Gasset doch: "Glauben kann man nur in der Gemeinschaft."