DOMRADIO.DE: Hinter dem Friedensvertrag zwischen Äthiopien und Eritrea steht vor allem ein Mann: Äthiopiens neuer Premier Abiy Ahmed. Wie schätzen Sie ein, dass er dem Nachbarland einen umstrittenen Grenzort zuerkannt und die eritreische Grenzziehung anerkannt hat?
Hans-Peter Hecking (Ostafrika-Referent beim katholischen Hilfswerk missio): Ich denke, Abiy Ahmed ist ein politischer Realist und gleichzeitig auch Visionär. Er weiß, dass es in seinem Vielvölkerstaat Äthiopien allein schon innenpolitisch genügend Probleme und Herausforderungen gibt und gab, die es zu lösen gilt. Es gab ja in den zurückliegenden Jahren immer wieder große Proteste von einzelnen Volksgruppen, die sich von der Zentralregierung unterdrückt und benachteiligt fühlten. Die Zentralregierung war über viele Jahre von Tigray-Leuten (Tigrinya sind eine Volksgruppe, die in Äthiopien und Eritrea im nördlichen Hochland von Abessinien lebt, Anm. d. Red.), also vielvölkerstaatlich dominiert. Also von einer Volksgruppe im Norden des Landes, die nur sechs Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Das Tigray-Volk lebt diesseits und jenseits der äthiopisch-eritreischen Grenze und da waren die Grenzfragen natürlich immer besonders emotionalisiert.
Diese Zeit ist mit Abiy Ahmed aber vorbei. Er ist der erste Oromo (Volksgruppe, die in Äthiopien sowie im Norden Kenias lebt, Anm. d. Red.) auf dem Stuhl des Premierministers. Er sieht von daher diese Grenzfrage, in der es letztlich um einige Quadratkilometer trockenes Wüstenland geht, viel nüchterner. Er steht für politische Stabilität und freundschaftliche Beziehungen zu seinen Nachbarn im Norden.
DOMRADIO.DE: Jetzt hat er diesen großen Schritt auf die Nachbarn zugetan. Was für konkrete Konsequenzen wird der Friedensvertrag denn wohl haben?
Hecking: Nach dem zweijährigen Grenzkrieg zwischen den beiden Ländern, der im Jahr 2000 endete, glich die Situation dort wie der hier zur Zeit des tiefsten Kalten Krieges. Es gab keine diplomatischen Beziehungen. Im Gegenteil. Beide Länder verband eine erbitterte Feindschaft mit entsprechend hohen Militärausgaben in beiden Ländern, die zu den ärmsten der Welt zählen.
Dass man nun - wie vermeldet wurde - wieder Botschaften in beiden Hauptstädten Asmara und Addis Abeba öffnen will und dadurch die diplomatischen Beziehungen wieder ins Lot bringen will, ist ein riesiger Fortschritt. Nicht nur für die Verhältnisse in beiden Ländern, sondern auch in der ganzen Region am Horn von Afrika.
Wie bekannt wurde, sind auch wieder Telefonverbindungen zwischen den beiden Ländern freigeschaltet worden, die seit dem Grenzkrieg gekappt waren, sodass Verwandte und Menschen beider Länder auf diesem Wege wieder direkt in Kontakt treten können. Der Personen- und Warenverkehr soll wieder teilweise aufgenommen werden, direkte Linienflüge zwischen den beiden Ländern sollen - wie berichtet wird - bereits in der nächsten Woche wieder aufgenommen werden. Wir sind also voller Hoffnung.
Vielleicht ist es dann sogar möglich, dass der Erzbischof von Asmara nächste Woche bei der Vollversammlung der ostafrikanischen Bischöfe in Addis Abeba, was bisher unmöglich gewesen wäre, dabei sein kann.
DOMRADIO.DE: Äthiopien ist nach Uganda das zweitwichtigste Aufnahmeland für Flüchtlinge in Afrika - auch für Hunderttausende Eritreer. Glauben Sie, dass sich deren Lage in den Flüchtlingslagern entlang der Grenze jetzt verbessern wird?
Hecking: Ich denke, das wird maßgeblich davon abhängen, wie sich die Lage in Eritrea selbst verbessert, sodass Menschen nicht mehr gezwungen sind, aus ihrer Heimat nach Äthiopien und dann auch in den benachbarten Sudan und Südsudan zu flüchten, die selbst Krisenländer sind. Daran erkennt man, wie schlimm die Situation in Eritrea ist.
DOMRADIO.DE: Dieser Friedensvertrag erweckt zumindest die Hoffnung auf politisches Tauwetter in dieser ostafrikanischen Krisenregion. Wichtig wäre, dass jetzt in Eritrea selbst auch etwas passiert. Halten Sie das denn für wahrscheinlich, dass sich jetzt auch Eritreas Machthaber bewegen wird und vielleicht eine gewisse Milde zeigt?
Hecking: Das ist die Eine-Million-Frage. Eritrea ist eine der repressivsten Diktaturen weltweit. Die politischen Verhältnisse dort müssten sich drastisch verändern. Staatspräsident Isayas Afewerki ist seit 1993 dort an der Macht.
Es gibt nur eine einzige Partei, einen Einparteienstaat also. Der politische Ausnahmezustand ist ein Dauerzustand. Es blühen Korruption und Vetternwirtschaft. Es gibt keine Verfassung. Es gab noch nie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die Pressefreiheit ist außer Kraft gesetzt. Die Religionsfreiheit ist eingeschränkt. Es gibt keine unabhängige Justiz und so weiter und so fort. Dann die ganze Not mit dem sogenannten "National Service". Das heißt, junge Leute werden dort in diesen paramilitärischen Dienst gezwängt, der ursprünglich 18 Monate dauern sollte, seit dem Grenzkrieg aber auf unbestimmte Zeit verlängert worden ist.
Das ist eine unglaubliche Perspektivlosigkeit in diesem Land, in dem es auch keine freie Wirtschaft gibt, sondern alles staatlich gelenkt wird. Das Regime müsste dringend politische und wirtschaftliche Reformen einleiten. Reformen, die etwa die katholische Kirche als die einzige oppositionelle Kraft dort seit Jahren fordert.
DOMRADIO.DE: Sollte das tatsächlich innenpolitische Früchte für Eritreer hervorbringen, dann würden wir das in Europa wahrscheinlich auch ganz massiv merken, oder?
Hecking: Ganz eindeutiges "Ja". Wenn sich die Lage in dem Land verbessert, wenn die notleidenden Menschen nicht mehr zu Tausenden das Land verlassen müssen, die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer antreten, wo täglich zig Leute ertrinken, dann würden sie in ihrer Heimat bleiben. Zudem würden die Eritreer im Exil - auch hier bei uns - in großer Zahl in ihre Heimat zurückkehren.
Das Interview führte Hilde Regeniter.