Anders als in der Ausbildung gelernt, hätten sie es bei dem Einsatz nicht mit anderen Kämpfern zu tun gehabt, sagte der Seedorfer Militärpfarrer Thomas Bretz-Rieck dem Evangelischen Pressedienst (epd). "In Kabul standen aber Frauen, Männer und Kinder in zivil vor ihnen, die in einer existenziellen, bedrohlichen, ausweglosen Lage waren", sagte er. Darauf seien sie durch die Ausbildung nicht wirklich eingestellt gewesen.
Viele existenzielle Entscheidungen aufgebürdet
"Die Soldatinnen und Soldaten haben Verletzte gesehen, beobachtet, wie Zivilisten davon abgehalten wurden, auf das Flughafengelände zu kommen", sagte Bretz-Rieck. Sie seien gezwungen gewesen, auszuwählen, wer in den Flieger kommt und wer nicht, oder hätten entscheiden müssen, ob sie noch einen Angehörigen aus der Menge holen können.
Es seien "moralische Zumutungen" gewesen. "Dem einzelnen waren sehr viele existenzielle Entscheidungen aufgebürdet - in der Konsequenz vielleicht über Leben und Tod."
Bretz-Rieck begleitete für die letzten Tage den knapp zweiwöchigen Evakuierungseinsatz der Bundeswehr im August. Der 57-Jährige ist Militärpfarrer in niedersächsischen Seedorf, wo die Fallschirmjäger stationiert sind, die maßgeblich an diesem Einsatz beteiligt waren.
Bretz-Rieck blieb für die Tage als Ansprechpartner im usbekischen Taschkent. Dorthin wurden die Menschen zunächst geflogen, die die Bundeswehr vom Flughafen in Kabul mitnahm. Nach der Machtübernahme der Taliban versuchten auf diese Weise mehrere Staaten, frühere Ortskräfte oder Aktivisten aus dem Land zu holen, bevor sie ihr Militär endgültig abzogen.
"Jeder Einsatz verändert einen"
Der Militärseelsorger zeigte sich überzeugt davon, dass der Einsatz bei den Soldatinnen und Soldaten Spuren hinterlassen wird. "Jeder Einsatz verändert einen", sagte er. Das heiße gleichzeitig aber nicht, "dass man gleich einen bleibenden Schaden davonträgt".
Niemand habe sich nach dem Einsatz als Held gefühlt, sagte Bretz-Rieck. Diese Soldaten hätten zwar einen echten Unterschied für die Menschen gemacht, die gerettet wurden. "Und gleichzeitig wussten sie, dass in Kabul noch viele weitere sind, die zurückbleiben mussten", fügte er hinzu. Am Mittwoch findet im Verteidigungsministerium eine erste Veranstaltung statt, mit der für die Debatte über eine Bilanz des 20-jährigen Afghanistan-Einsatzes ein Auftakt gemacht werden soll.