DOMRADIO.DE: Der Bundestag hat eine moderate Reform der Organspenderegeln in Deutschland beschlossen. Die Bürger sollen künftig mindestens alle zehn Jahre beim Personalausweisabholen auf das Thema angesprochen werden. Einem entsprechenden Entwurf einer Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock stimmten 432 Abgeordnete zu. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Andreas Lob-Hüdepohl (Theologe, Sozialethiker und Mitglied des Deutschen Ethikrates): Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Ich fand schon den Verlauf der Debatte sehr gut. Es wurden tiefgründige Argumente vorgetragen. Und ich bin sehr zufrieden darüber, dass es dieser Gesetzentwurf geschafft hat - vor allen Dingen mit einer sehr großen Zustimmung. Wenn ich das überschlage, haben zwei Drittel der Abgeordneten des Deutschen Bundestages dafür gestimmt. Das stimmt mich sehr froh.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet dieses Ergebnis aus ethischer Sicht?
Lob-Hüdepohl: Es bedeutet, dass eine Organspende das bleibt, was sie ist. Sie bleibt nämlich eine Spende, die freiwillig erfolgt. Ich muss ihr zustimmen. Damit ist die Organspende nicht etwa eine Pflicht-Abgabe, zu der ich aufgefordert bin und der ich dann gelegentlich widersprechen kann. Der Spende-Charakter bleibt erhalten.
Das halte ich für unverzichtbar. Es handelt sich um eine Entscheidung. Ich entscheide mich dafür, dass ich eine Organspende tätigen möchte. Es ist eine Entscheidung über die Schlussphase des Sterbens. Das kann nie aus der Hand des Sterbenden genommen werden. Da kann und muss er immer auch selber aktiv einbezogen sein. Das bleibt jetzt so.
DOMRADIO.DE: Aber freiwillig wäre es bei einer doppelten Widerspruchslösung doch auch geblieben. Man hätte sich melden können und sagen können: "Nein, ich möchte das nicht."
Lob-Hüdepohl: Nein, denn zunächst einmal bin ich dazu verpflichtet, Spender zu sein. Ich kann der Pflicht nur widersprechen. Das ist etwas anderes, als wenn ich ausdrücklich sage: "Ich möchte mich durch meine Spendenbereitschaft tatsächlich an der Rettung anderer Menschen beteiligen."
Das halte ich übrigens aus der christlichen Perspektive für ganz wichtig. Ich persönlich verfüge über einen Organspendeausweis, weil ich es wichtig finde, dieses Zeichen der Solidarität zu geben.
DOMRADIO.DE: Wie geht es jetzt in der Ethik-Debatte weiter? Ist diese Debatte mit dem Gesetz vom Tisch oder welche Themen rücken jetzt in den Fokus?
Lob-Hüdepohl: Nein, das Thema ist nicht vom Tisch - und zwar zu Recht. Denn es ist nach wie vor ein moralisches Übel, dass wir zu wenig Organtransplantationen haben. Wir haben nicht zu wenige Spender. Das hat sich in der wissenschaftlichen Debatte herausgestellt. Wir haben eine hohe faktische Zustimmung zu Organspenden in der bundesdeutschen Bevölkerung.
Knapp 40 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung verfügen über einen Spenderausweis. Stattdessen ist Kern des Problems, dass Krankenhäuser Spendenbereite zu selten erfassen und Organe nicht entnommen werden. Solange das im Sterbeprozess zu wenig in den Blick genommen wird, solange das nicht vergütet wird, solange muss man sich nicht wundern, dass mögliche Spenderinnen und Spender nicht identifiziert werden.
Da hat der Deutsche Bundestag übrigens vor anderthalb Jahren auf Initiative des Bundesgesundheitsministeriums einen wichtigen Weg beschritten. Er hat nämlich die Bedingungen verbessert, Spender zu identifizieren und diese von einem Entnahme- zu einem Empfangs-Krankenhaus überzuleiten. Das muss natürlich auch zukünftig im Mittelpunkt politischer Bemühungen stehen.
DOMRADIO.DE: Die Kirchen mahnen an, die Entscheidung, ein Organ zu spenden, sollte freiwillig sein. Dazu gehöre auch, sich nicht entscheiden zu müssen. Jetzt könnte man natürlich sagen - im Dienste der Nächstenliebe - wäre es dann nicht von jedem Einzelnen zu erwarten, dass er sich mit dieser Frage in Zukunft zumindest mehr beschäftigt. Ist das für Sie jetzt gegeben? Dadurch, dass man mindestens alle zehn Jahre darauf angesprochen wird, reicht das?
Lob-Hüdepohl: Das mag vielleicht noch nicht reichen. Ich glaube, es handelt sich um ein so hohes moralisches Gut, Menschenleben zu retten, dass man auch zwangsbehelligt werden darf. Ich glaube, das ist auch die Position der Kirche.
Das Recht auf Nichtentscheiden heißt nicht, dass ich mich in dieser Situation noch nicht entgültig entscheiden muss. Es heißt, dass ich diese Entscheidung aufschieben darf, oder - und das ist ganz wichtig -, dass ich diese Entscheidung in die Hand der Angehörigen gebe. Das ist oftmals eine Zumutung für Angehörige. Aber das ist die Möglichkeit, dass man im Familienkreis über solche Fragen spricht. Das können die Angehörigen dann im Fall der Fälle übermitteln.
So läuft das übrigens auch faktisch in allen Ländern, und zwar unabhängig der Frage, ob Widerspruch, Zustimmung oder Einwilligung. Die Angehörigen werden immer einbezogen. Das geht überhaupt nicht anders.
Das Interview führte Michelle Olion.